Graz/Wien - Der Tod des Polizisten und Chef-Ermittlers in der Soko Kampusch, Franz Kröll, der sich im Juni auf der Terrasse seiner Wohnung in Graz erschossen haben soll, wirft weiter Fragen auf. Laut Polizeibericht, der am 27. Juni, zwei Tage nach Krölls Tod, verfasst wurde und dem Standard vorliegt, erschoss sich der Rechtshänder Kröll mit der linken Hand. Das sei ein Vorgehen, "zu dem es zwar keine konkreten Studien gibt", erklärt Kathrin Yen, die Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Klinisch-Forensische Bildgebung in Graz auf Nachfrage, "aus meiner Erfahrung erfolgen die meisten Suizidfälle aber mit der Händigkeit, welche die Menschen auch sonst haben".

Im selben Polizeibericht (siehe Faksimile) ist auch zu lesen, dass mit dem "Weinsäure-Filterpapierverfahren" keine "Schmauchspuren und typische Brandrückstände" nachgewiesen werden konnten. Überraschend soll nun aber seit etwa drei Wochen ein weiteres Gutachten vorliegen, wie Ermittler Gerhard Lachomsek von der Grazer Kripo am Dienstag bestätigte.

"Neue Schmauchspuren"

Demnach sollen nun doch Schmauchspuren gefunden worden sein - auf beiden Händen. Franz Kröll soll sich also mit beiden Händen in die Schläfe geschossen haben, "um niemanden anderen zu gefährden, ergänzt Lachomsek, "das Projektil wurde in der Hausmauer gefunden". Dass man nach einem Test mit Weinsäure-Filterpapier, der ja im Juni protokolliert wurde, überhaupt noch Schmauchspuren entdecken kann, nennt der Schießgutachter Ingo Wieser, der unter anderem im Fall Lucona als Sprengstoffsachverständiger ermittelte und den Selbstmord des früheren Verteidigungsministers Karl Lütgendorf untersuchte, "für ganz unmöglich", wie er dem Standard erklärt. "Denn bei diesem denkbar schlechtesten Verfahren werden die Spuren abgenommen und sind damit vernichtet, alle anderen Verfahren danach sind für nichts". Wie man dann trotzdem zu Schmauchspuren kam? "Das würde ich auch gerne wissen," meint dazu Wieser.

So wie heute einzelne Menschen, vor allem sein Bruder, nicht an einen Suizid des Ermittlers Kröll glauben wollen, so bezweifelte der Verstorbene, dass der Entführer von Natascha Kampusch, Wolfgang Priklopil, sich selbst getötet haben soll.

Der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofes, Johann Rzeszut, ehemaliges Mitglied der Evaluierungskommission im Fall Kampusch, hat kürzlich mit einem Bericht an alle Parlamentsparteien Ermittlungen gegen fünf Staatsanwälte wegen Amtsmissbrauch in der Causa Kampusch ausgelöst. Rzeszut bestätigt nun, dass Kröll "massive Bedenken" bezüglich des Freitodes Priklopils hatte. Dies vor allem darum, weil aus einem grafologischen Bericht des Bundeskriminalamtes hervor ging, dass ein Zettel, den H., ein Freund Priklopils, als dessen Abschiedsbrief ausgab, gefälscht war. Und wie viele Mitarbeiter Krölls weiß auch Rzeszut, dass der Chefermittler nicht glaubte, dass Wolfgang Priklopil ein Einzeltäter war.

"Helle Schatten"

Priklopil soll sich, nachdem er stundenlang mit H. herumgefahren sein soll, auf die Schienen gelegt haben. Der Zugführer erkannte damals aber nur "eine Bewegung" und einen "hellen Schatten". Für die Gerichtsmedizinerin Yen ist im Falle von Suiziden auf Bahngeleisen, bei denen man nicht dezidiert beobachten konnte, dass jemand selbst gesprungen sei, "eine sofortige Temperaturmessung des Leichnams vor Ort" unabdingbar. Nur so und durch toxikologische Untersuchungen könne man feststellen, ob jemand schon tot auf den Schienen lag, oder etwa betäubt oder alkoholisiert. In Österreich müsse man aber leider davon ausgehen, dass die Temperatur nicht routinemäßig genommen werde, sagt Yen, die einst in der Schweiz arbeitete.

Aus gut unterrichteten Kreisen erfuhr der Standard, dass zumindest im Akt zu den Untersuchungen des Todes Priklopils tatsächlich nichts über eine Temperaturmessung gestanden haben dürfte. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 10.11.2010)