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Der Castor-Transport hinter mehreren Mauern: In Berlin beschäftigte man sich mit wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Durchbrüchen, etwa bei der Frage der Atommülllagerung.

Foto: Michael Probst/AP/dapd

Joachim Knebel wirkte auf manch einen deutschen Wissenschaftsjournalisten noch sachlicher als sonst. Keine Emotion war dem gelernten Maschinenbauingenieur anzumerken, der sich seit Jahren mit Atommüll beschäftigt, als er während seines Vortrags im Berliner Radialsystem an der Spree meinte, man werde schon bald, in vielleicht 15 bis 20 Jahren die Gefahr durch nuklearen Abfall stark reduzieren können. Und das an einem Tag, an dem der Castor-Transport durch Deutschland von massiven Protesten begleitet wurde und das ganze Land dank breiter Medienberichterstattung daran Anteil nahm.

Die Idee: In einem beschleunigergetriebenen Recyclingsystem sollen giftige Stoffe wie Plutonium mit Neutronen beschossen und in andere, weniger gefährliche Stoffe umgewandelt werden. Eine Endlagerung des Restabfalls sei zwar weiterhin nötig, "man würde es hier aber schaffen, von den geologischen Zeiträumen von mehreren hunderttausend Jahren auf historische Zeiträume von unter 500 Jahren zu kommen" , sagte Knebel schon bei einer anderen Gelegenheit.

Wahrscheinlich sehen so wissenschaftliche Durchbrüche aus. Knebel hielt seinen Vortrag jedenfalls im Rahmen der Tagung "Falling Walls" , die zum 20-Jahr-Jubiläum des Mauerfalls im vergangenen Jahr zum ersten Mal stattfand - und sich auch heuer der Frage widmete "Welche Mauern müssen als nächste fallen?" "Weil die meisten Veranstaltungen im vergangen Jahr eine Rückschau waren, ein wichtiges Aufarbeiten der Geschichte. Wir wollten darauf hinweisen, dass es noch andere Mauern gibt, die man noch niederreißen sollte" , sagte Sebastian Turner, Kuratoriumsvorsitzender beim Konferenzveranstalter.

Ideen für Mauerndurchbrüche gab es während der Tagung viele, thematische Grenzen waren jedenfalls keine ersichtlich. Die deutsche Islamwissenschafterin Sabine Schmidtke berichtete von ihrer Arbeit mit Manuskripten aus dem Vorderen Orient des 8. bis15. Jahrhunderts. Einer Zeit, in der es einen regen intellektuellen Austausch zwischen Juden, Christen und Muslimen gegeben hat, die die gleichen Bücher lasen und dieselbe Sprache sprachen. Aus heutiger Sicht eine Utopie. Schmidtke will allen Fundamentalisten, die sich auf historische Wurzeln berufen, zeigen, wie falsch sie liegen.

Kaum hatten sich die Zuhörer auf die Themenfelder Religion und Gesellschaft eingelassen, kam aber auch schon der nächste Redner, ein Physiker: Helmut Dosch, Vorsitzender des Direktoriums im Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy), präsentierte, wie man durch Lasertechnologien Dinge, die man mit freiem Auge oder mit herkömmlichen Mikroskopen nicht mehr sieht, dennoch beobachten kann.

Schneller Laserpuls

Dosch lud zu einer Zeitreise zur letzten Fußball-WM in Südafrika: Was wäre, nur einmal angenommen, wenn man live Deutschlands 4:0-Sieg gegen Argentinien bei der Fußball-WM in Südafrika sehen wollte, "aber gleich nach Beginn des Spiels nur mehr das Ergebnis serviert bekam" . Man wäre frustriert gewesen. Die Lösung: ein Laserpuls, der schneller ist als die Bewegungsabläufe, die man beobachten will. Eine Mauer ins Quantenkino, die schon seit längerem in der Physik durchbrochen wird.

Angesichts des breiten Angebots an Ideen war auch die Frage erlaubt: Was ist eigentlich ein Durchbruch? Und wie erreicht man ihn? Die Experten sagten, es müssten Fragen gestellt werden, die so noch nie gestellt wurden. Und man müsste Beharrlichkeit zeigen: Wolfgang Holzgreve vom Wissenschaftskolleg in Berlin nannte Medizinnobelpreisträger Robert Edwards als Beispiel. Er habe für seine Entwicklung der In-vitro-Fertilisation erst mehr als 30 Jahre nach der Arbeit daran den weltweit wichtigsten Wissenschaftspreis erhalten.

Thomas Lengauer, Direktor am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken, sah die Voraussetzungen für Durchbrüche aber nicht nur bei den Wissenschaftern. "Wir brauchen moralische Unterstützung und geistige Freiheit - und letztlich ist es auch eine Frage des Geldes." Ein Plädoyer, das auch in Deutschland von Forschern gern gehört wurde. (Peter Illetschko aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)