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Mahnwache vor dem Gebäude der Kriminalpolizei in Moskau: Kollegen fordern, dass die Täter und Auftraggeber gefunden werden, die Oleg Kaschin ins Koma geprügelt haben.

Foto: Reuters/Denis Sinyakov

Unermüdlich halten sie ihr Schild in die Höhe: "Oleg Kaschin wurde zusammengeschlagen. Ich fordere, dass die Täter und die Auftraggeber gefunden werden." Den dritten Tag versammeln sich Unterstützer des Journalisten vor dem Gebäude der Moskauer Kriminalpolizei. Das Schild darf immer nur einer von ihnen hochhalten, damit der Protest als nicht genehmigungspflichtige Einzel-Mahnwache durchgeht.

Eine Minute und 20 Sekunden reichten den Angreifern, um Kaschin halbtot zu prügeln. Mit Brechstangen brachen zwei Männer dem Journalisten den Kiefer, die Finger und den Unterschenkel. Aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas musste der 30-Jährige, der für die Tageszeitung Kommersant arbeitet, in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden.

Es kommt nicht von ungefähr, dass dem Journalisten die Finger gebrochen wurden, sagte Alexej Wenediktow, Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, bei einem Runden Tisch der Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Die Tat habe Signalwirkung für alle Medienleute. Kaschin eckte in alle Richtungen an. Er kritisierte Kreml-Jugendorganisationen genauso wie die Opposition, berichtete über die Abholzung des Chimki-Waldes und legte sich mit dem Gouverneur der Region Pskow an.

Russland ist ein raues Pflaster für Journalisten. Seit 1991 wurden rund 300 Journalisten ermordet. In den vergangenen zehn Jahren gab es etliche spektakuläre Fälle wie den Mord an der Putin-Kritikerin Anna Politkowskaja, der Menschenrechtlerin Natascha Estemirowa und der jungen Journalistin Anastasija Baburowa.

Laut Wenediktow hat jedoch bisher kein Fall eine derart große Resonanz hervorgerufen. Vom Attentat auf Kaschin berichteten sogar die Staatsmedien. "Die Solidarität ist so groß, weil der Fall zeigt, dass es jeden Journalisten treffen kann", sagte Wenediktow.

"Jeder hat Angst"

"Momentan hat jeder normale Journalist Angst. Wenn diese Tendenz anhält, bleibt einem nur noch der Rückzug", sagt Gurjewitsch Wladimir, Chefredakteur von Moscow News. Die Journalisten machen die Stimmung in der Gesellschaft für die Situation verantwortlich. "Es herrscht ein aggressives Verhalten gegenüber allen, die eine andere Meinung äußern", konstatiert Iswestija-Chefredakteur Witalij Abramow.

Vor allem kremlnahe Jugendorganisationen stellen Andersdenkende immer wieder als "Feinde Russlands" dar. So forderte die "Junge Garde" im Internet die "Bestrafung" Kaschins. "Der Präsident müsste den Kreml-Jugendorganisationen nur einmal klar sagen, dass es schlecht ist, gegen Journalisten zu hetzen. Das würde schon ausreichen, die Lage zu verbessern", sagte Wenediktow zum Standard.

Gewalt gegen Journalisten bleibt in Russland meist ungestraft. Auch im Fall Kaschin tappen die Ermittler noch im Dunkeln, obwohl sie auf Material aus 13 Überwachungskameras zurückgreifen können. "Diese Leute fürchten sich nicht. Sie wissen, da gibt es Kameras, aber sie werden geschützt", sagte Wenedikjtow.

Präsident Dmitri Medwedew verurteilte die Tat und forderte einen besseren gesetzlichen Schutz für Journalisten. Härtere Strafen bringen nichts, wenn nicht Täter und Auftraggeber gefunden und vor Gericht gebracht werden, sagte Menschenrechtler Oleg Orlow von Memorial. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 10.11.2010)