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EBDD-Chef: "Insgesamt ist die Drogensituation in Europa relativ stabil. Wir sehen aber einen innovativeren und dynamischeren Suchtgiftmarkt."

Foto: APA/Fohringer

Lissabon - Die Weltwirtschaftskrise macht "Verlierer" anfälliger für Drogenkonsum. Manche engagieren sich im Suchtgifthandel, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. "Ökonomische und soziale Probleme werden uns kaum helfen, das Drogenproblem zu bewältigen", warnte am Mittwoch der Chef der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EBDD), Wolfgang Götz, in Lissabon anlässlich der Vorstellung des neuen Jahresberichts (2010) der Institution in Lissabon. Trotzdem würden mehrere Staaten bereits ihre finanziellen Mittel in diesem Bereich kürzen. "Insgesamt ist die Drogensituation in Europa relativ stabil. Wir sehen aber einen immer komplexeren Drogenmarkt. Wir sehen einen innovativeren und dynamischeren Suchtgiftmarkt", warnte Götz.

Positiv: Die Zahl von rund 1,35 Mio. Heroinkonsumenten in Europa hat sich nicht verändert. Der EBBD-Chef: "Die Situation hat sich stabilisiert, obwohl die Opiumproduktion in Afghanistan bis 2007 anstieg. Wir haben aber weiterhin pro Jahr in Europa 7.000 bis 8.000 Heroin-Todesopfer." Bedenklich, so Götz: "Das beunruhigende Beispiel stellen aber die hohe Rate an Opioidkonsum, injizierenden Drogengebrauch und die HIV-Infektionen dar, die wir in Russland und in der Ukraine sehen."

Immer mehr verschiedene Substanzen

Ebenfalls bedenklich: Bei den synthetischen Drogen wird die Situation immer schwieriger, weil illegale Labors immer mehr verschiedene Substanzen herstellen. Der EBDD-Chef: "Im Jahr 2009 wurden uns und Europol 24 neue Substanzen berichtet. Heuer sind es bisher schon 33." Der Internet-Drogenhandel nimmt zu. Götz: "Wir haben allein 170 derartige 'Shops' identifiziert, die sogenannte 'Legal Highs' oder halluzinogene Pilze anbieten." Diese Szene sollte man in den Griff bekommen.

Bei Cannabis macht den europäischen Experten die zunehmende "heimische" Produktion Sorgen. Der EBDD-Chef: "23 Millionen Menschen haben im vergangenen Jahr in Europa Cannabis verwendet. Besonders besorgniserregend ist aber, dass vier Millionen Europäer diese Droge täglich benutzen."

Die Aufdeckung der Produzenten und Großhändler stößt aber zunehmend auf Schwierigkeiten. Götz: "Wir haben eine zunehmende 'Heimproduktion' beobachtet, speziell in Westeuropa. Da geht es um intensive Kultivierung mit tausenden Pflanzen in solchen Plantagen. Da wird Cannabis an der 'Türschwelle' des Marktes produziert. Interventionen sind hier schwieriger."

Düstere Szenerie

Abseits der Drogenmärkte kündigt sich allerdings in Europa eine düstere Szenerie an, was die Drogenprävention, Betreuung und Behandlung von Abhängigen betrifft. EBDD-Chef Wolfgang Götz: "Ich habe bereits von einigen Staaten gehört, dass sie die finanziellen Mittel kürzen. Eine Reduktion von Prävention, Behandlung und von Strategien zur Schadensminderung kann aber die Marginalisierung der Betroffenen und die Gesundheitsprobleme verstärken."

Auch wenn von Zeit zu Zeit Budgetkürzungen notwendig erschienen, sollte nicht am falschen Platz gespart werden. Götz: "Derzeit befinden sich in Europa mindestens eine Million Personen wegen ihres Drogenkonsums in Behandlung, die meisten davon in Drogensubstitutionsprogrammen. Der Zugang zu diesen Drogenersatzprogrammen ist in den vergangenen Jahren leichter geworden, auch in den Gefängnissen."

Segensreiche Maßnahmen

Gerade dieses Maßnahmen hätten sich aber als segensreich erwiesen. Der EBDD-Chef: "Behandlung verhindert Todesfälle und HIV-Infektionen und hat viele Drogenabhängige in Europa stabilisiert. Die Therapie hat tausenden Europäern wieder zu einer besseren Kontrolle ihres Lebens verholfen und auch das Leid ihrer Familien und Freunde verringert."

Gerade hier sollte eben nicht gespart werden, andere Maßnahmen hätten bei weitem nicht diesen Effekt. Götz: "Meiner Meinung nach sollten Therapiemaßnahmen nicht gefährdet werden, bevor wir nicht sicher wissen, dass andere teure Interventionen - zum Beispiel Medienkampagnen (gegen Drogenkonsum, Anm.) oder die Inhaftierung von Drogenkonsumenten ähnlich effizient sind." Letzteres wird von Experten seit vielen Jahren bezweifelt. (APA)