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Foto: APA/Norbert Försterling

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Planung ist alles: Wenn Missy Foy an einem Laufbewerb teilnimmt, stimmt sie Essen, Trinken und Insulinbedarf genauestens auf die Herausforderung ab. Schon ein kleiner Fehler kann Blutzuckerhaushalt und Leistung wesentlich beeinflussen.

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"Heute bin ich 41 Meilen (circa 66 Kilometer, Anm.) gelaufen. Jetzt bin ich so ziemlich zu nichts mehr zu gebrauchen. 41 Meilen klingen schrecklich. Oder zumindest verrückt. Aber es ist wirklich nicht so schlimm", schrieb Missy Foy am 19. Oktober in ihren Trainingsblog. So weit, so normal für eine Ultramarathon-Läuferin und Spitzensportlerin. Was sie von anderen Athleten unterscheidet, offenbart sich weiter unten in ihrem Blogeintrag, wo sie den Verlauf des Rennens nachvollzieht: Nach einer absolvierten 20-Kilometer-Schleife macht sie eine kurze Pause, um den Blutzucker zu messen. Er ist bei 95. Dann zählt sie auf, wie viel und welche Art von Sportlernahrung, Schokoriegeln und anderen Süßigkeiten sie zu sich nimmt, um ihren Zuckerhaushalt auf die restliche Strecke abzustimmen: "Ich hatte noch immer das Gefühl, dass mein Blutzucker sinken würde. Am Ziel lag er bei 114. Er sank wohl eine Zeitlang, schließlich hatte ich aber genug zu mir genommen, dass er letztendlich oben blieb."

Missy Foy war 33, als bei ihr Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde. Damals, im Jahr 1997, war sie gerade drauf und dran, in der vordersten Reihe der US-Laufszene mitzuspielen. "Ich wurde total panisch", blickt sie Jahre später in einem Interview der New York Times zurück. Sie kannte die Risiken - mögliches Erblinden, Nierenversagen, Nervenschäden - und hatte Angst, dass die Diagnose das Ende ihrer sportlichen Karriere bedeuten würde: "Ich habe tagelang geweint." Letztendlich hat sich Foy nicht beirren lassen. Im Jahr 1999 war sie der erste Mensch mit Typ-1-Diabetes, der sich für den Marathonbewerb bei den Olympischen Spielen qualifizierte. Im Ultramarathon-Bereich trumpfte sie 2005 in ihrem Heimatstaat North Carolina auf. Mit einer Zeit von 7:15 Stunden unterbot sie im 50-Meilen-Bewerb (ca. 80 Kilometer) von Umstead den bis dahin geltenden Streckenrekord um 20 Minuten. In dem Jahr war sie für diese Distanz sogar die Nummer eins der Weltrangliste.

Im September 2007 erreichte sie den zweiten Platz bei den US-Meisterschaften über 50 Meilen. Die übliche Marathon-Distanz läuft sie in 2:47 Stunden. Um die 40 Bewerbe mit Distanzen zwischen fünf Kilometer und 50 Meilen läuft sie pro Jahr, dafür trainiert sie täglich am Morgen und am Nachmittag. Das summiert sich pro Woche auf bis zu 160 Kilometer, in "Trainingspausen" sind es noch immer zwischen 50 und 100. Neben ihrer Laufkarriere studiert sie an der University of North Carolina. Ihr (zurzeit sehr aktueller) Schwerpunkt ist die Geschichte der US-Gesundheitsvorsorge. Der Umgang mit Diabetes spielt darin natürlich auch eine Rolle.

Mühsamer Weg an die Spitze

Bevor sich aber Spitzensport und ihre Erkrankung vereinbaren ließen, mussten einige Hürden genommen werden. Es brauchte zum Beispiel vier vergebliche Besuche bei verschiedenen Endokrinologen, bis sie einen Arzt fand, der bereit war, ihr beim schwierigen Ausbalancieren von Training und Insulinhaushalt zu helfen. Diabetes macht zwar im physischen Sinn nicht weniger fit, aber um die Herausforderungen des Spitzensports zu meistern, bedarf es aufwändiger Planung. Die Injektionen verschiedener Insulinpräparate und die Zuckeraufnahme durch Essen müssen auf Intensität und Dauer des Trainings sowie auf die je nach Tageszeit unterschiedliche Insulinempfindlichkeit abgestimmt werden. Durch viele Versuche und viele Irrtümer lernte sie ihr tägliches Training zu optimieren. Sie hat etwa herausgefunden, dass sehr kaltes oder sehr heißes Wetter dazu führt, dass ihr Blutzuckerspiegel schneller als üblich sinkt. Eine Erkältung kann dafür sorgen, dass der Blutzucker während eines Rennens steigt. Manchmal, gibt sie aber zu, hat sie nach wie vor absolut keine Ahnung, warum ihr Blutzucker gerade hoch oder niedrig ist.

Wenn Foy zu einem Wettbewerb kommt, hat sie einen Plan, der aus Probeläufen mit verschiedenen Nahrungspräparaten, Wasserrationen und Insulindosierungen resultiert. Meistens geht der Plan auf. Manchmal auch nicht: Als sie sich einmal eine Insulinspritze durch die Laufhose gab, setzte sie die Spritze nicht tief genug. Ihr Körper hatte dadurch zu wenig Insulin zur Verfügung und während des Laufes ging ihr Blutzuckerspiegel durch die Decke. Sie lief dadurch auch eines der schlechtesten Rennen ihres Lebens. Missy Foys Pionierarbeit trug dazu bei, dass Menschen, die Typ-1-Diabetes haben und intensiven Ausdauersport betreiben, keine Seltenheit mehr sind. Sie wurde zum Vorbild für viele Diabetiker in den USA. Die Hürden sind durch sie niedriger geworden, Ärzte sind auf sportliche Diabetes-Patienten vorbereitet, und verbesserte technische Möglichkeiten (Insulinpumpen) erleichtern sportliche Betätigung. Typ-1-Diabetiker fahren heute Langstreckenradrennen, absolvieren Ironman-Bewerbe und - sie laufen: Auf den eingangs zitierten Blogeintrag antwortete etwa ein Mark S.: "Hi Missy, Ich bin Typ 1 und habe gerade mit dem Training für meinen ersten Marathon begonnen." (Alois Pumhösel, DER STANDARD, Printausgabe, 11.11.2010)