Cristina Nord traf Coppola zum Gespräch über Hotels, Kameramänner und Identitätskrisen.
Standard: Ihre Protagonisten leben meist in einem sicheren, komfortablen Umfeld - in "Somewhere" ist es nun das Chateau-Marmont-Hotel in Los Angeles. Könnten Sie sich ein weniger luxuriöses Setting für einen Film vorstellen?
Coppola: Ich habe mich nie bewusst entschieden, aber vermutlich ist es mir einfach vertraut. Ich bin ja in einer sehr komfortablen Umgebung groß geworden, also kann ich mir eine solche auch besser vorstellen. Bei meinem Debüt "The Virgin Suicides" war es eigentlich so, dass ich mich in Suburbia nicht unbedingt auskannte. Aber es war eben eine komfortable Welt, zu der ich einen Bezug hatte. Ich hätte mir nicht vorstellen können, einen ersten Film zu drehen, der im Ghetto spielt.
Standard: Obwohl es so komfortabel ist, führen Ihre Figuren ein leeres Leben.
Coppola: Ich würde es eher so sehen: Sie befinden sich in einer Übergangssituation, sie suchen nach ihrer Identität. Das ist ein menschliches Ringen. Menschen mit Geld bleiben davon nicht verschont.
Standard: Gibt es so etwas wie eine Ursache-Wirkung-Beziehung? Wer in Wohlstand lebt, fühlt sich leichter leer?
Coppola: Ich glaube nicht, dass sie leer sind. Ich glaube, sie suchen nach Gehalt. Wenn man sich keine Sorgen um Geld machen muss und mehr Zeit hat, denkt man vielleicht eher darüber nach, was einen antreibt. Wenn man ums Überleben kämpfen muss, setzt man sich nicht hin und grübelt darüber, was im Leben wichtig ist. Wohlstand führt vielleicht deshalb zu einer existenziellen Krise, weil von dem, der komfortabel lebt, erwartet wird, dass er glücklich ist.
Standard: Der Protagonist von "Somewhere", der Schauspieler Johnny Marco, wohnt im Chateau-Marmont-Hotel. Was für ein Ort ist das?
Coppola: Ein ikonisches Bauwerk in Los Angeles. Viele Leute aus dem Showbusiness kommen hierher, um sich zu treffen oder weil sie gesehen oder entdeckt werden wollen. Wenn man dort wohnt, hat man es geschafft, aber es ist trotzdem noch ein wenig Bohème.
Standard: Warum sind Hotels in Ihren Filmen so wichtig?
Coppola: Weil die Figuren in Übergangssituationen sind und ein Hotel kein beständiger Ort ist. Sie haben eben kein festes Zuhause, sie gleiten. Als ich jünger war, habe ich mit meinem Vater viel Zeit in Hotels verbracht.
Standard: Wenn Sie von Übergangssituationen, von Krise sprechen, haben Sie dann eine Vorstellung davon, was Erfüllung für eine Figur wie Johnny Marco wäre?
Coppola: Er ist an einem Punkt, an dem er sich entscheiden muss, in welche Richtung er sich bewegt, ob er eine vollwertige Person sein wird oder nicht, ob er Erfüllung in seinem persönlichen oder künstlerischen Leben findet.
Standard: Was heißt das denn: vollwertig?
Coppola: Ich wollte den Kontrast zwischen dem, was authentisch ist, und dem, was oberflächlich ist, zeigen. Es gibt ja durchaus Schauspieler, die sich erwachsener verhalten, die eine Familie gründen oder danach streben, künstlerische Arbeit zu machen. Andererseits kann man es sich dementsprechend leicht machen und sich in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Und das gilt ja nicht nur für Schauspieler.
Standard: Vollwertig heißt also, Verantwortung zu übernehmen?
Coppola: Ich möchte nicht darüber urteilen, was jemanden zu einer vollwertigen Person macht. Johnny Marco könnte ja einfach immer so weitermachen, sich betrinken und sich Stripperinnen anschauen, oder er könnte ein bewusster Mensch werden.
Standard: Zugleich mag Ihr Film den ganzen Luxus und all die oberflächlichen Reize sehr gerne. Sie schwelgen in dem, was Sie zugleich zu kritisieren scheinen.
Coppola: Es macht ja auch Spaß! Wie wenn man zu viele Süßigkeiten isst. Man kann nicht tagein, tagaus Süßigkeiten essen. Die Sachen haben nicht nur eine Seite.
Standard: Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Filme sehr viel miteinander zu tun haben?
Coppola: O ja. Sie sind definitiv von derselben Person gemacht, ich habe einfach eine bestimmte Art, die Welt zu sehen, und es gibt bestimmte Themen, an denen ich mich abarbeite. Mir liegt viel daran, die Geschichten über Bilder zu erzählen, Dialoge oder die Narration als Triebfedern interessieren mich nicht so sehr.
Standard: Sie haben mit dem Kameramann Harris Savides zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Coppola: Ich bewundere, was er bisher gemacht hat, besonders die Filme von Gus Van Sant. Wir haben zusammen einen Werbespot gedreht. Ich liebte es, mit ihm zu drehen, mit ihm darüber zu reden, was wir mögen und was wir nicht mögen am Filmemachen.
Standard: Zuvor haben Sie mit den Kameramännern Lance Acord und Ed Lachman gedreht. Beide arbeiten wie Savides nicht gerade im Hollywood-Mainstream. Ist Ihnen das wichtig?
Coppola: Was mich mit allen meinen Kameraleuten verbindet, ist ein ähnlicher Geschmack. Wir haben ähnliche Bezugspunkte, Vorlieben. Kommerzielle Filme haben eine professionellere Anmutung. Das mag ich nicht so gerne.
Standard: Manche Einstellungen von "Somewhere" erinnern an New Hollywood. Das erste Bild von, zum Beispiel, der Autorennparcours, hat mich an einen Studentenfilm von George Lucas denken lassen...
Coppola: O ja, daran habe ich auch gedacht, das ist lustig.
Standard: Die Szene arbeitet stark mit dem, was "on screen" und was "off screen" passiert. Das Geräusch des Rennwagens ist die ganze Zeit über zu hören, das Auto fährt links aus dem Bild heraus, ist eine Weile nicht zu sehen und fährt dann weiter hinten wieder ins Bild hinein. Wie entsteht so eine Szene?
Coppola: Ich hatte diese Idee, dass es mit im Kreis fahrenden Autos losgehen sollte. Und ich wollte, dass die Szene lang genug dauert, damit man spürt, wie monoton das Leben der Figur ist. Also sagte ich zu Harris, dass ich das Ganze in einer Einstellung haben wollte. Wir haben dann geschaut, wie es aussieht, wenn sich die Kamera mit dem Auto mitbewegt. Wir kamen zu dem Schluss, dass es stärker ist, wenn das Auto verschwindet und zurückkommt, während der Ton andauert.
Standard: War es eigentlich schwer, sich das Ende auszudenken? Wenn die Hauptfigur eines Filmes eine Krise durchlebt, ist es ja manchmal so, dass man aus dem Film so wenig einen Ausweg findet wie die Figur aus der Krise.
Coppola: Das Ende war schwierig. Ich hatte eine Vorstellung vom Anfang des Films und wie ich durch die Geschichte kommen würde, aber nicht vom Ende. Und ich wollte so enden, dass man denkt: Das könnte ein Neubeginn für ihn sein, ein Aufbruch. Nicht alles ist aufgelöst, es gibt eine Offenheit, eine gewisse Hoffnung. / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2010)