Wien - "Ein Abgrenzungsbedürfnis haben in erster Linie die Loser", sagt Bernhard Heinzlmaier. Das habe mit der Gruppe, der sie angehören, nichts zu tun: Jugendliche, die aus der Türkei kommen oder einen türkischen Migrationshintergrund haben, grenzen sich nicht verstärkt ab, sondern funktionieren genauso wie andere gesellschaftliche Gruppen.

Religion verkompliziert

Der Migrationshintergrund spielt dabei keine Rolle, sagt Jugendforscher Heinzlmaier zum Standard: "Wenn sich ausländische Jugendliche nicht verständigen können, wenn sie sich nicht aufgenommen fühlen, ziehen sie sich unter ihresgleichen zurück. Im Gegensatz zu jenen, die sich gut zurechtfinden."

Die würden nämlich versuchen, sich in das normale österreichische Alltagsleben einzubringen. "Auch Türken sind in sich heterogen. Die besser gebildeten grenzen sich von den weniger gebildeten ab." Und die weniger gebildeten würden in ihrem engen Kreis stärker durch Religion beeinflusst.

Diese Prägung durch Religion ist für den Jugendkulturforscher eine Eigenheit türkischer Jugendlicher. Die Religion spiele hier eine stärkere Rolle als in Österreich: "Man kann das mit dem Einfluss der katholischen Kirche auf die Österreicher in den 50er-Jahren vergleichen. Heute kümmern sich die Österreicher wenig um die Kirche, ihr Einfluss ist marginal."

Eine funktionierende Integration werde immer schwieriger, je größer der Einfluss der Religion auf die Migrantengruppe sei. Heinzlmaier sieht einen Unterschied zu Einwanderern aus Ex-Jugoslawien. Jene kämen aus einer Kultur, die ebenso säkular sei wie die österreichische: "Man müsste die Religion bzw. ihren Einfluss per se zurückdrängen. Immer dort, wo er abnimmt, wird das Zusammenleben leichter."

Bildung spiele beim Miteinander eine große Rolle, wichtiger sei aber "soziales und kulturelles Kapital, also Vernetzung und Kommunikation. Wen kenne ich, und worüber kann ich mich unterhalten? Da differenzieren Menschen stärker als bei ethnischen Communities."

Land der Hysteriker

Heinzlmaier arbeitet in Deutschland und Österreich und sieht einen Unterschied in der Art und Weise, wie beide Länder mit Integration umgehen - nicht zum Vorteil Österreichs: "Deutschland diskutiert diese Probleme mit mehr Stil. Österreich ist ein verängstigtes Land der Hysteriker. Wir verlieren sofort die Contenance." Und so wie Politiker über Ausländer reden, so machen es anschließend die Menschen auf der Straße.

Dabei ist die Integration von Türken auch gerade in Deutschland Thema: Laut einer aktuellen Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sind diese bei deutschen Jugendlichen ausgesprochen unbeliebt - sie rangieren auf dem letzten Platz, hinter Schweden, Italienern, Afrikanern, Juden und Osteuropäern. (Saskia Jungnikl/DER STANDARD, Printausgabe, 12. November 2010)