Daniel Zimmermann markierte am Lauberhorn die Ideallinie für Skirennläufer.

Foto: Zimmermann

Als Plattform will "Eyes on" die Augen des Publikums auf das unterbewertete fotografische Medium richten - Gelegenheit bietet sich dazu an 178 Orten.

Wien - Längere Leisten hätten damals nicht in seinen VW-Bus gepasst. Und deswegen sind die 10.000 Holzlatten, die Daniel Zimmermann seit rund 20 Jahren für seine Installationen nutzt, exakt 270 Zentimeter lang, erklärt der 1966 im Schweizer Thun geborene Künstler. Ausgelegt zu skulpturalen Gebilden und sogenannten "Strukturfeldern", reagierte er mit den Latten auf Innenräume, markierte oder verfolgte Spuren im urbanen oder ländlichen Raum: Im Jahr 2000 etwa jene eines Bobs in der St. Moritzer Bobbahn und 2006/07 die eines Skirennfahrers, der die Ideallinie vom Lauberhorn erwischt. Der aus dem hölzernen Brettl-Parcours entstandene Kurzfilm tourte durch diverse Festivals.

Filmisch begleitet wird auch Zimmermanns jüngster landschaftlicher Eingriff: In Stick-Climbing (Premiere bei den Kurzfilmtagen Winterthur, bis 14. 11.) wird eine halsbrecherische Route entlang der Gössler Wand am Grundlsee gelegt. Performative Skulpturen, die auch fotografische Form annehmen: Per Stereoviewer kann man geradezu in sie eintauchen, aber auch "normal" betrachtet besticht ihre Ästhetik. Zu sehen sind diese und andere Arbeiten Zimmermanns aktuell beim Salon XV, der größten Ausstellung im Rahmen von Eyes on; so der Titel des nach 2006 und 2008 heuer zum dritten Mal stattfindenden Monats der Fotografie.

Fotosalon in Beisl und Bar

Initiiert von fotok, stellen beim Salon XV insgesamt 80 Künstler an 18 verschiedenen Orten der Reindorfgasse im fünfzehnten Bezirk aus: Vom Altwiener Beisl über leerstehende Lokale, Geschäftsauslagen und dem buddhistischen Tempel bis zu nada lokal, einem experimentellen Raum an der Schnittstelle zwischen Kunst und Performance, führt die Route, die - im Gegensatz zu manch anderer Ausstellungsstätte - sehr viel Hochwertiges präsentiert: neben Zimmermann (Hausnummer 8) etwa von Julia Rohn (Nr. 9). Mit einem blau umflimmerten Kubus visualisiert sie die aus dem Kino (die Reindorfer Lichtspiele sperrten 1968 zu) in die Wohnzimmer, also den Bereich des Privaten, verschobenen filmischen Bilder, aber atmosphärisch auch das allgemeine Verschwinden öffentlicher Räume.

Phil Samhaber erzählt in seinen Fotos von Ajami, einem Stadtteil von Jaffa bei Tel Aviv (Nr. 38), während Johann Schoiswohl (Nr. 39) keine Fotos zeigt, sondern jene Stellen privater Fotoalben der NS-Zeit, wo Aufnahmen herausgerissen wurden.

Nicht nur der durch die Gasse mäandernde Fotosalon jenseits des Gürtels, auch der Monat der Fotografie selbst hat unter den 178 verschiedenen Ausstellungsorten einige recht exzentrische Präsentationsorte zu bieten: das Nutzfahrzeug-Zentrum Wien Nord etwa oder gar einen Fotosnack am Würstelstand bei der Albertina.

Breite und Pleite

Der Monat der Fotografie sieht sich als Plattform für "alle Spielarten der Fotografie" erklärt Eyes on-Projektleiter Thomas Licek, die mitunter auch qualitativ höchst bunte Vielfalt des heuer zum dritten Mal stattfindenden Festivals. Eine pointiertere Auswahl der eingereichten Projekte durch die Jury hätte womöglich bedeutet, dass viele der kleineren Offspaces nicht teilnehmen können, und über deren Teilnahme freut sich Licek besonders.

Besonders die kleineren Initiativen profitieren vom Monat der Fotografie, verschafft er ihnen doch Publizität und Besucher, die sich sonst womöglich nicht zu ihnen verirrt hätten. Wohingegen in etablierteren Räume nicht unbedingt mehr Publikum zu bemerken ist. Ansteigende Aufmerksamkeit bringt auch das Titelsujet, das heuer Marko Zink featuret (Galerie Stock), obwohl dies sich nicht unbedingt auch in Verkäufen niederschlägt, gesteht Licek ein. Denn "Fotografie ist Risiko für den Galeristen".

Malerei bleibt einfach - auch aus restauratorischen Gründen - das attraktivere Medium. Der auf klassische Fotografie spezialisierte Galerist Johannes Faber bestätigt das: Wenn man Fotos nur groß genug aufbläst, kaufe sie der letzte Banause. Und freilich, die Diasecs sind irgendwann unwiderruflich kaputt.

Mit dem Monat der Fotografie hofft man, einen Teil zur notwendigen Überzeugungsarbeit zu leisten oder zumindest Einstiege. Einsteigen kann man im besten Wortsinn in Sissi Farassats Projekt im Musa. Mit dem kleinsten bekannten Fotomagazin Sioseh (persisch für 33) hat auch sie sich um das Medium verdient gemacht.

Die ersten 32 des auf 33 Ausgaben limitierten Heftes kann man nun mit dem Kopf eingetaucht in kleine Kartonboxen auf Monitoren "durchblättern". Eine nette Idee, obgleich intime Betrachtungen anders aussehen. Mutations III präsentiert ebenfalls im Musa zehn Webprojekte zum Thema private und öffentliche Bilder. Überzeugend Edmund Clarks Arbeit über Guantaánamo Bay und eine Sondierung zum Ort der olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotchi (Rob Hornstra / Arnold van Bruggen).

Zu den sehenswerten Fotoschwerpunkten zählen unter anderem die Ausstellung der New Yorker Künstler McDermott & McGough in der Kunsthalle Wien. Mit dandyistischer Attitüde beschwören sie in ihren historisch wirkenden Bildern nicht nur eine Welt zeitlich vor einer durch und durch unternehmerisch geprägten Kultur, sondern halten auch die alten fotografischen Techniken hoch. Auch der Reiz von Loan Nguyens Fotografien (Sammlung Verbund; im November Di, Mi, 18.00, Fr 17.00) ist von ihrer Atmosphäre bestimmt.

Die Arbeiten der in Lausanne lebenden Künstlerin leben von der Spannung, die zwischen einer handelnden Person und den "absurden Orten" aufgebaut wird, der "Haltung"und "Gestik", die nicht nur Menschen, sondern auch Objekte und auch Landschaften besitzen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.11.2010)