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Sie haben ein Kreuz zu tragen. Angehörige von Opfern des Brand- infernos von Kaprun am Weg zur Gedenkveranstaltung.

Foto: AP/Joensson

Salzburg - Werner Kirnbauer hat am 11. November 2000 seinen damals 18-jährigen Sohn Matthias verloren. Dieser war eines der 155 Todesopfer, die beim Brand im Stollen der Standseilbahn auf das Kitzsteinhorn ihr Leben lassen mussten. Nur zwölf Menschen konnten sich damals aus dem Unglückstunnel retten.

Zehn Jahre später spricht Werner Kirnbauer anlässlich der Gedenkfeier zum zehnten Jahrestag im Namen vieler Angehöriger das an, was viele Hinterbliebene quält: die rechtsgültigen Freisprüche im Kaprun-Prozess.

"Wir wurden von der österreichischen Justiz zutiefst enttäuscht. Das Gericht hat nicht einmal versucht, die Ursachen dieses Infernos zu ergründen", sagt Kirnbauer vor den rund 300 Teilnehmern der Gedenkveranstaltung nahe der Talstation der Unglücksbahn. Das Unglück sei Ergebnis "menschenverachtender Profitgier und Schlamperei".

Unter den Zuhörern auch Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ). Kirnbauers Erklärung für die Freisprüche: "Die Schadensbegrenzung für den österreichischen Fremdenverkehr war wichtiger als 155 Tote." Eine Lobby habe das Gericht zu einer Marionette gemacht.

Die Verbitterung angesichts der Freisprüche ist das dominierende Thema des Gedenkens am schlichten Betonkubus, der an die 155 Todesopfer erinnert. In seinem Inneren symbolisieren 155 verschiedenfarbige Nischen die einzelnen Opfer.

Frage nach Gerechtigkeit

Auch die evangelische Superintendentin von Salzburg und Tirol spricht bei einem gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst mit dem Salzburger Prälaten Balthasar Sieberer das Thema an: Es möge ja sein, dass das Urteil juristisch recht sei; "aber Gerechtigkeit sieht anders aus". Die Theologin weiß aber auch, dass längst nicht alle Angehörige die Wut und Verbitterung teilen: Viele sagten, "lasst uns in Ruhe trauern", man dürfe die Wunden nicht immer wieder aufwühlen.

Tatsächlich sind mit rund einhundert Personen weit weniger Angehörige nach Kaprun gekommen als erwartet. Viele wollten sich den Medienrummel ersparen und nicht wieder aufgewühlt werden, weiß Gabriele Walsch, die für die Gemeinde Kaprun die Pressebetreuung übernommen hat.

Seilbahn in Betrieb

Unter den etwa 300 Teilnehmern fanden sich neben Hinterbliebenen und Freunden der Opfer viele Vertreter der Einsatzorganisationen und Helfer der ersten Stunde. Für die Gletscherbahnen Kaprun AG nahmen mit dem damaligen Betriebsleiter der Unglücksbahn, Günther Brennsteiner, und Vorstandsdirektor Peter Präauer die zwei Hauptverantwortlichen teil. Ihre Botschaft an die Angehörigen: "Wir sind uns der Verantwortung bewusst, wir bitten um Verzeihung."

Angekommen ist diese Botschaft bei den meisten der Hinterbliebenen wohl nicht. Denn wie zur Bestätigung des Vorwurfs der "menschenverachtenden Profitgier" ließ man die neue Zubringerbahn auf das Kitzsteinhorn, den Gletschjet, während Gedenkfeier und -gottesdienst weiterlaufen. (Thomas Neuhold/DER STANDARD, Printausgabe, 12. November 2010)