So lange ist es noch nicht her, dass eine Partei dazu aufgerufen hat, Muezzine per Mausklick auszulöschen. Ein Blick ins Archiv zeigt: Sechs lange Tage dauerte es, bis das Staatsoberhaupt dieses Treiben als Geschmacklosigkeit abqualifiziert hat.

Nun beanstandet der türkische Botschafter in Wien mit undiplomatischen Aussagen die misslungene Integration seiner Landsleute - und sogleich marschiert fast ein halbes Dutzend Regierungsmitglieder auf, um diesen Mann zu disziplinieren, weil er damit gegen die üblichen diplomatischen Gepflogenheiten verstoßen hat.

Dabei hat der Gesandte an mehreren Stellen nur ausgesprochen, was auch viele Einheimische von sich geben: Dass es befremdlich ist, in einer Stadt zu leben, in der ein Drittel mit einer extrem rechten Partei sympathisiert. Dass die Innenministerin in der FPÖ besser aufgehoben wäre. Oder dass die Österreicher zwar unterm Jahr auf die Türken schimpfen, aber dann schon in Antalya billigurlauben.

Doch die rechte Opposition ruft nach härterem Vorgehen gegen den Repräsentanten. Sein Abzug wird verlangt, und überhaupt: der Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Offensichtlich soll da jemand mundtot gemacht werden. Weil er - trotz offizieller Funktion - seine Meinung vertreten hat. Sorry, aber diese Vorgangsweise wirkt für eine westliche Demokratie ziemlich repressiv. Denn sie gemahnt an Zustände wie im hinteren Anatolien. (Nina Weißensteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 12. November 2010)