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Der Verschleiß des Hüftgelenks ist eine häufige Form der Arthrose.

Erst schmerzen Knie, Hüfte oder Handgelenke nur morgens beim Aufstehen, nach einigen Bewegungen verschwinden die Beschwerden wieder. Später tut es bei körperlicher Bewegung weh, dann auch in Ruhe. Die federnde Knorpelschicht im Gelenk verschwindet, im Endstadium reibt Knochen an Knochen. Ältere Menschen, Frauen und Übergewichtige haben ein hohes Risiko, dass ihre Gelenke verschleißen und sie eine Arthrose bekommen. In Österreich leiden rund 200.000 Menschen darunter. Schmerzmedikamente können die Beschwerden nachweislich lindern, doch ein Fortschreiten der Arthrose können sie nicht aufhalten. Vielversprechend klangen daher die Knorpelschützer, die vor einigen Jahren auf den Markt kamen: Chondroitin und Glucosamin sollen den Krankheitsprozess beeinflussen und den Knorpelabbau bremsen. Und die Schmerzen lindern. Inzwischen gehören sie zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten bei Arthrose.

Doch jetzt lässt eine neue Studie im British Medical Journal daran zweifeln, ob die Mittel wirklich so gut sind, wie die Hersteller suggerieren. Weder Chondroitin noch Glucosamin noch deren Kombination linderten die Schmerzen in Knie oder Hüfte besser als ein Scheinpräparat, wies Peter Jüni, Epidemiologe an der Uni Bern, zusammen mit Kollegen nach. "Auch den Krankheitsverlauf beeinflussten die Substanzen nicht", sagt Jüni. Die Forscher hatten Daten von 3803 Patienten aus zehn Studien verwendet und damit eine Netzwerk-Meta-Analyse durchgeführt. Mit diesem Verfahren gelingt es, verschiedene Studien vergleichbar zu machen, etwa hinsichtlich unterschiedlicher Auswertungsmethoden.

Das Ergebnis wundert Jüni nicht. Denn Hinweise dafür, dass die Substanzen weniger gut wirken als angenommen, fanden die Forscher schon vor drei Jahren. Jetzt aber konnten sie die Daten mit neuen statistischen Methoden besser untersuchen. Schon seit Jahren gehen die Meinungen über den Nutzen der "Knorpelschützer" auseinander. Einige Studien hatten gezeigt, dass sich damit die Beschwerden besserten und die Krankheit nicht so schnell fortschritt, andere konnten dies nicht bestätigen. "Den Therapieansatz gibt es seit Ende der 1980er-Jahre", berichtet Stephan Reichenbach, Oberarzt in der Rheumatologie am Inselspital Bern und Mitautor der Studie. "Chondroitin und Glucosamin sind beides normale Bestandteile des Knorpels. Da dieser bei Arthrose abgebaut wird, erscheint es logisch, ihn ersetzen zu wollen." Allerdings würden die Substanzen bei der Aufnahme in den Körper teilweise abgebaut.

Methodische Fehler

In anderen medizinischen Bereichen gibt es schon seit 20 Jahren etablierte Kriterien, wie man qualitativ hochwertige Medikamentenstudien durchführt. "Bei Arthrose haben sich diese erst jetzt durchgesetzt", sagt Jüni. "Es wurde viel zu wenig darüber geforscht." Vor einigen Jahren begann sein Team zu untersuchen, welche Maßnahmen bei Arthrose wirklich helfen. "Wir sahen schnell, dass die Studien aus den vergangenen Jahren mit Fehlern behaftet waren." So zeigten ältere Studien von Anfang der 1990er-Jahre, dass Chondroitin und Glucosamin wirkten, während spätere Untersuchungen ab 2005 nur noch einen kleinen oder gar keinen Effekt zeigten. Wie ist das möglich? Jüni und Reichenbach fanden heraus, dass in älteren Studien die Forscher die Kriterien für eine "gute" Studie nicht eingehalten hatten: So hatten einige etwa zu wenige Patienten untersucht, um zu einer klaren Aussage kommen zu können. Andere führten die Studien nicht "doppelblind" durch. Dies ist eine Studie dann, wenn weder Patient noch der behandelnde Arzt wissen, ob der Wirkstoff oder ein Scheinpräparat verabreicht wird. Eine weitere Fehlerquelle war, dass Forscher möglicherweise bestimmte "ungewollte" Ergebnisse nicht veröffentlichten. Dies könnte erklären, warum vom Hersteller gesponserte Studien viel häufiger zeigten, dass Chondroitin oder Glucosamin wirkten, als dies bei nicht gesponserten Studien der Fall war.

Für die Firmen lohnt es sich: Allein mit dem Verkauf von Glucosamin sollen die Hersteller im Jahre 2008 rund zwei Milliarden Dollar umgesetzt haben - das ist rund 60 Prozent mehr als fünf Jahre zuvor. "Leider haben wir kein gut wirkendes Medikament, das den Verlauf der Arthrose positiv beeinflusst", sagt Josef Smolen, Leiter der Rheumatologie am AKH und KH Hietzing Wien. "Wir können bislang nur die Beschwerden lindern." So werden immer wieder Therapien mit zweifelhafter oder nicht nachgewiesener Wirkung angeboten. Bei einigen konnten Forscher jedoch inzwischen zeigen, dass sie helfen (siehe Wissen). "Die meisten Menschen bekommen eine Arthrose, aber nur bei einigen verursacht sie Beschwerden", sagt Smolen. "Dabei macht nicht der Knorpelabbau Schmerzen, sondern erst die Reaktionen darauf: Die Muskeln schwinden, ihre Kraft lässt nach, die Sehnen lockern sich, und das Gelenk wird instabil." Deshalb sei es so wichtig, aktiv zu bleiben und sich zu bewegen. Smolen ist trotz der neuen Studie nicht strikt gegen Knorpelschützer. Sie verursachen weniger Nebenwirkungen als Schmerzmedikamente und sind deswegen beliebt. "Einigen Patienten scheinen sie zu helfen. Die individuelle Situation eines Patienten kann man nicht immer mit den Bedingungen in einer Studie vergleichen." Dass sie wirksam scheinen, kann dann am natürlichen Verlauf der Arthrose liegen, die sich oft nach einigen Wochen von selbst bessert, an dem Gespräch mit dem Arzt oder daran, dass der Patient an die Therapie glaubt. "Wir bräuchten mehr Langzeitstudien", fordert Smolen. "Bislang gibt es hier noch nicht genügend Daten." (Felicitas Witte, DER STANDARD Printausgabe, 15.11.2010)