Florence Aubenas, "Putze. Mein Leben im Dreck". Aus dem Französischen von Gabi Wurster. € 14,95 / 250 Seiten. Pendo Verlag, München 2010

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In Frankreich wurde Pierre Bourdieus Buch über Das Elend der Welt 1993 ein Bestseller. Es versammelte auf fast tausend Seiten die Biografien von einfachen Menschen, denen das Schicksal übel mitgespielt hat. Zum Bestseller wurde das Buch, weil es mit einfühlsamer, soziologisch geschulter Beobachtung die Menschen hinter Zahlenreihen sichtbar machte. Armuts- und Arbeitslosigkeitsstatistiken sind das eine, die Menschen, die dahinter stehen, das andere.

Die Journalistin Florence Aubenas unternahm den Selbstversuch, als Arbeitslose eine Stelle zu finden. Im Unterschied zu Günther Wallraff, der sich vollkommen tarnte, trat Aubenas in einer Provinzstadt unter eigenem Namen auf, färbte lediglich ihre Haare und legte sich eine fiktive Biografie zu. Sie trat auf als Frau, die nie gearbeitet, sondern bisher von ihrem Mann gelebt habe und nun nach der Trennung mittellos dastehe. Die Erfahrungen, die sie bei der Arbeitssuche und bei ihrer Arbeit als Putzfrau machte, hat Aubenas in einem Buch zusammengestellt, das in Frankreich großes Aufsehen erregt hat.

Als alleinstehende Frau ohne Berufsabschluss und ohne Arbeitserfahrung landete sie ganz unten - bei den "Schwervermittelbaren", die von den Jobcentern an Zeitarbeitsfirmen, vor allem Reinigungsunternehmen, weitergereicht werden. Für den Chef einer solchen Firma ist jemand ohne Führerschein und Auto "nur ein Problem mehr, und den stelle ich nicht ein".

Woher soll eine Arbeitslose ein Auto bekommen, um abgelegene Büroräume, Campingplätze oder Fährschiffe morgens zwischen fünf Uhr und acht Uhr oder abends bis 22.30 zu reinigen? Darum kümmern sich weder die Jobcenter noch die Zeitarbeitsfirmen.

Aubenas erlebte die Arbeitsvermittlung als ein kafkaeskes Chaos. Die Arbeitssuchenden müssen sich regelmäßig in den Jobcenters melden und sich auf die wenigen offenen Stellen bewerben.

Private Beratungs- und Qualifizierungsstellen fungieren als Subunternehmer der Jobcenter, denn die Arbeitssuchenden sollen sich durch allerlei Kurse weiterqualifizieren - die lange Liste reicht vom "Raumhygienekurs" über das "Modul Altenhilfe" bis zur "telefonischen Arbeitssuche" und dem Kurs "wie man seine Kenntnisse zur Geltung bringt". Das erwies sich bald als pure Beschäftigungstherapie.

Groteske Exzesse

Auch das Personal in den Jobcentern steht unter dem Druck, "die Arbeitslosenzahlen zu senken, egal wie". Das führt zu grotesken organisatorischen Exzessen. Um die Angestellten der Jobcenter besser überwachen zu können, werden Termine nur noch telefonisch oder per Computer vergeben. Was nützt das jenen "Kunden", die sich längst kein Telefon und schon gar keinen Computer mehr leisten können? Statt der vorgesehenen 60 betreut jeder Angestellte im Jobcenter 180 "Kunden" und leidet am Ende unter der Ohnmacht und Aussichtslosigkeit seines Tuns so, dass "Berater aus Paris" kommen müssen, um "für das Personal 'psychologische Hilfe' zu organisieren".

In Frankreich gibt es zwar einen Mindestlohn von 8,71 Euro pro Stunde für Putzkräfte, aber diese Vorschrift wird oft unterlaufen, indem Überstunden schlicht und einfach nicht vergütet werden. "Eine Kontrolle der Arbeitgeber gibt es nicht, nur eine Kontrolle der Arbeitnehmer." Die Arbeitssuchenden sitzen in einer Falle und müssen buchstäblich nehmen, was man ihnen gibt, denn "wenn man einmal nein sagt, ist man verratzt, man verschwindet in der Versenkung. Die Firma ruft nie wieder an."

Das Fazit von Florence Aubenas nach dem sechsmonatigen Selbstversuch ist niederschmetternd: "Heutzutage findet man keine richtige Arbeit mehr. (... ) Man arbeitet ständig, ohne wirklich Arbeit zu haben, man verdient Geld, ein Auskommen aber hat man nicht." Entsprechend deprimierend sieht ein "Traumjob" für Putzfrauen aus: Für rund 500 Euro brutto pro Monat sechsmal pro Woche morgens von 5.30 Uhr bis 8.00 Uhr putzen für 8,94 Euro pro Stunde, einen unbefristeten Arbeitsvertrag und mit einer unbezahlten Anfahrt von einer Stunde. Das gut geschriebene Buch von Florence Aubenas ist ein Dokument der alltäglichen Beleidigung und Erniedrigung von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen in schwierige soziale Lagen geraten sind. (Rudolf Walther, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 13./14. November 2010)