"Man fragt sich manchmal, ob man hier wirklich noch erwünscht ist", sagt der Komponist Serkan Gürkan. Der Türkischstämmige lebt seit 18 Jahren in Österreich und ist durchaus kritisch angesichts der Integrationsdebatte, die durch das Interview des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan ausgelöst wurde: Man müsse aufpassen, dass im Diskurs nicht zu sehr zugespitzt werde.

Andererseits sei es absolut notwendig, eine offene, breite Debatte über die Thematik zu führen. "Aber eine Hetzjagd kann sehr schnell beginnen", so der Künstler. "Als ich vor 18 Jahren aus der Türkei kam, habe ich Europa nur bewundert. Ich habe kein Bewusstsein darüber gehabt, wie Europa über uns denkt", erinnert sich Gürkan.

Als er im Vorjahr dann die Staatsbürgerschaft beantragt habe, sei diese mit der Begründung abgelehnt worden, dass sein Einkommen als freischaffender Künstler nicht hoch genug sei. Zugleich dürfe seine Frau mit Universitätsabschluss nicht in Österreich arbeiten, obgleich sie seit neun Jahren hier lebe. "Die Gesetzgebung erlaubt uns derzeit nicht, dass wir hier zu Hause sind.", meint Gürkan. "Aber wenn ich mich als Künstler schon manchmal ausgegrenzt fühle, dann kann ich mir nicht vorstellen, wie sich die anderen Schichten fühlen.", sagt er.

"Der geliebte Feind"

Die Debatte auf eine neue, weniger emotionale Ebene heben, will das Berliner Künstlerkollektiv "Club Real" in Zusammenarbeit mit brut Wien. Von 19. bis 26. November errichten sie unter dem Titel "Der geliebte Feind" gegenüber der Goethe-Statue am Wiener Opernring einen "Doppelgänger mit orientalisierter Oberfläche". Im Inneren der Statue befindet sich ein Museum, das das Verhältnis von Österreich zum Orient, speziell zur Türkei aufzeigt. "Der Türke wurde für den Österreicher vom geliebten Feind zum ungeliebten Mitbürger", erzählt einer der Künstler, Georg Reinhardt. Anders als bei der aktuellen Aufregung wolle man sich nicht mit Problemen, sondern mit konkreten "Möglichkeiten von interkulturellem Zusammenleben" beschäftigen, so Reinhardt.

"Wir Türken" und "ihr Österreich"

Auch der Linzer Filmregisseur Ünal Uzunkaya stimmt den Aussagen des türkischen Botschafters zu. Er hat Teczan auch persönlich kennengelernt. Einzig und allein die pauschalisierenden Ausdrücke Tezcans kritisiert der Linzer: "Das liegt vielleicht ein bisschen an der türkischen Sprache, da das 'wir Türken' und 'ihr Österreicher' im Türkischen gar nicht so stark klingt wie im Deutschen, weil diese Abgrenzung nicht so verhärtet ist."

Uzunkaya eröffnete mit seiner Doku "Memleketim - Menschen meiner Heimat" über Migranten der zweiten Generation vergangenes Jahr das "Blickwechsel"-Filmfestival. Der Filmemacher wünscht sich allerdings eine sachlichere Diskussion über das Thema. Erst wenn diese beginne, "ist der Boden für eine Neudefinition der Integrationsthematik bereitet."

Türken kommen nicht zu Wort

Hüseyin Tabak, Regisseur und Student der Wiener Filmakademie, habe sich "richtig gefreut", als er das Interview mit Tezcan gelesen hat: "Er spricht auch aus meiner Seele, ich stehe voll und ganz hinter ihm." Tabak hatte im Rahmen der Viennale den Wiener Filmpreis für seine Doku "Kick Off" gewonnen und das Publikum bei der Abschlussgala genutzt, um sich über den ausländerfeindlichen Wiener Wahlkampf rechter Parteien zu äußern. "Wenn man hier lebt, wird die ganze Zeit über einen diskutiert", so der Deutsch-Kurde, der seit vier Jahren in Österreich lebt, "aber selbst kommt man nie zu Wort."

In Österreich seien die Menschen wesentlich aggressiver und direkter als in Deutschland, wo Tabak 25 Jahre lang gelebt hatte. "Ob im Fitnessstudio oder in der U-Bahn, Menschen sehen mich und schimpfen neben mir offen über 'die Ausländer'", so der Deutsche mit türkischen Wurzeln. "In Deutschland würde man sich nie trauen, so etwas öffentlich zu sagen. In Wien liegt es in der Luft, man spürt es in der Atmosphäre, dass man als Problem angesehen wird", ergänzt er.

Multikulti ist nicht tot
Umso wichtiger sei es daher, dass die Debatte nun nicht im Rahmen von Wahlen stattfindet, "wo Politiker nur auf Stimmenfang sind". Den Vorwurf, Tezcan habe undiplomatisch gehandelt, weist Tabak zurück. "Er ist zwar letztendlich Diplomat, aber immer noch ein Mensch", sagt der Regisseur. "Wenn die deutsche Kanzlerin sagt: 'Multikulti ist tot', ist das auch nicht diplomatisch, sondern ein Angriff gegen Millionen von Migranten in Deutschland. Ich bin Multikulti, also wenn Multikulti tot ist, warum lebe ich dann noch?" (APA/red)