Bundeskanzler Werner Faymann, Vizekanzler Josef Pröll, Innenministerin Maria Fekter und Außenminister Michael Spindelegger haben einen offenen Brief aufgrund ihrer Reaktionen auf ein Interview des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan erhalten. Abgeschickt wurde das Schreiben von einem Personenkomitee, das sich zum Großteil aus Wissenschaftern verschiedener Institute der Universität Wien zusammensetzt (siehe Liste am Ende des Dokuments).

Die Gruppe zeigt sich "erstaunt und enttäuscht über die Reaktionen von österreichischen RegierungsvertreterInnen". Tezcan hätte sich zu manchen Fragen zwar provokant geäußert, aber im ganzen Gespräch seine Bereitschaft gezeigt, "mit österreichischen Institutionen und EntscheidungsträgerInnen in einen Dialog über Integrationsfragen zu treten". 

Die Reaktionen der Bundesregierung seien "autoritär", man würde dem Botschafter "den Mund verbieten". Das Motto der Aussagen lasse sich auf folgende Formel herunterbrechen: "Kein Angehöriger einer anderen Nationalität hat hier etwas öffentlich zu Integration zu sagen, denn was Integration in Österreich ist, bestimmen immer noch ´wir´."

Zum Abschluss des Briefes fordert das Personenkomitee: "Wir wünschen ausdrücklich, dass Sie - die österreichische Bundesregierung - in Dialog mit Kadri Ecvet Tezcan treten. Wir wünschen, dass seine Stimme und seine Positionen, die er so erfrischend einbringt, der Integrationsdebatte in diesem Land nicht verloren gehen - egal, wie man inhaltlich dazu stehen mag." (red)

 

DER BRIEF IM WORTLAUT:

"OFFENER BRIEF AN VERTRETERINNEN DER ÖSTERREICHISCHEN BUNDESREGIERUNG

Wir sind erstaunt und enttäuscht über die Reaktionen von österreichischen RegierungsvertreterInnen - insbesondere Bundeskanzler Werner Faymann, Vizekanzler und Bundesminister Josef Pröll, Bundesministerin Maria Fekter und Bundesminister Michael Spindelegger - auf das Interview mit dem türkischen Botschafter Tezcan in der Presse vom 10. Nov. 2010.

Kadri Ecvet Tezcan äußert sich zu manchen Fragen provokant, zeigt aber im ganzen Gespräch seine Bereitschaft, mit österreichischen Institutionen und EntscheidungsträgerInnen in einen Dialog über Integrationsfragen zu treten. Wir nehmen seine Frage auf und stellen sie noch mal dezidiert an Sie, unsere politischen VertreterInnen: Welches Problem hat Österreich? Welches Problem haben Sie damit, wenn ein Angehöriger einer anderen Nationalität sich in Österreich kritisch und reflektiert zu Problemen des Zusammenlebens äußert?
Ob die Worte nun von einem Botschafter kommen oder nicht, jede denkende und aufgeschlossene Person findet ein solches Gespräch erst einmal interessant. Die naheliegende Reaktion darauf wäre, mit Kadri Ecved Tezcan - der offensichtlich zum Verhältnis zwischen TürkInnen und anderen nationalen Gruppen in Österreich etwas zu sagen hat und ausdrücklich seinen Willen dazu bekundet - in Dialog zu treten und die Impulse, die er gibt, zu nutzen.

Was machen die VertreterInnen nahezu aller Parteien? Sie reagieren autoritär, verbieten ihm den Mund und verschließen sich. Aus den Reaktionen spricht, was auch in der Europäischen Wertestudie zuletzt wieder bestätigt wurde: Wie wenig demokratische Werte in der österreichischen Gesellschaft und Politik verankert sind. Sie bringen auch recht gut ans Licht, was unsere politischen RepräsentantInnen unter Integration verstehen: autoritäre Anweisungen und Redeverbote, nach dem Motto: Kein Angehöriger einer anderen Nationalität hat hier etwas öffentlich zu Integration zu sagen, denn was Integration in Österreich ist, bestimmen immer noch „wir".

Wir wünschen ausdrücklich, dass Sie - die österreichische Bundesregierung - in Dialog mit Kadri Ecvet Tezcan treten. Wir wünschen, dass seine Stimme und seine Positionen, die er so erfrischend einbringt, der Integrationsdebatte in diesem Land nicht verloren gehen - egal, wie man inhaltlich dazu stehen mag."

UNTERZEICHNET VON:

  • Mag. Dr. Martina Kopf, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. Martina Rienzner, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. Bea Gomes, Institut für Internationale Entwicklung Universität Wien
  • Mag. Mischa G. Hendel, Institut für Afrikawisssenschaften Universität Wien
  • Mag. Elke Christiansen, Institut für Internationale Entwicklung Universität Wien
  • Dr. Inge Grau, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Andrea Kremser, Institut für Internationale Entwicklung Universität Wien
  • Univ. Prof. Walter Schicho, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. Dr. Gerald Hödl, Wien
  • Dr. Martina Gajdos, Afrikanistin, Wien
  • Mag. Daniel Görgl, Institut für Internationale Entwicklung Universität Wien
  • Roswitha Just, Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Österreichs, Wien
  • Doz. Dr. Irmi Maral-Hanak, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. Ulrike Auer, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Dr. Christoph Gütermann, Austroprojekt, Wien
  • Renate Pittroff
  • Dr. phil. Jesus Nava Rivero, Universität Wien
  • Mag. Bettina Surtmann, Redakteurin, Wien
  • Dr. Wolfgang Böhm, Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar Österreichs
  • Dominik Schweiger
  • Dipl. Ing. Karl Koschek, atelier.23, architekten zt GmbH, Wien
  • Mag.a Bettina Zehetner, Institut für Soziologie Wien und Institut für frauenspezifische Sozialforschung. Verein Frauen beraten Frauen
  • Werner Hörtner, Südwind Magazin, Wien
  • Leopold Linhart, Angestellter
  • Corinna Oesch
  • Mag. Birgit Fritz, Institut für Afrikawissenschaften
  • Mag.a Iris Mendel M.A., Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC-team) am Institut für Philosophie
  • Birge Krondorfer, Univ.lektorin, Erwachsenenbildung
  • Mag. Dr. Gerald Faschingeder, Lehrbeauftragter Institut für Internationale Entwicklung Universität Wien
  • Annemarie Steidl, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Center for Austrian Studies, University of Minnesota
  • Stefan Gollowitzer
  • Gudrun Hauer, Lehrbeauftragte Institut für Politikwissenschaft Universität Wien
  • Mag. Dr. Marie Rodet, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. Dr. Gabriele Slezak, Institut für Afrikawissenschaften Universität Wien
  • Mag. David Bröderbauer
  • Lukas Schlögl
  • Mag. Cecile Undreiner
  • Daniele Hermetinger