Hašek, Kiprusoff, Lundqvist, Nabokov - die Liste europäischer Goalies, die in der NHL einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben oder dies immer noch tun, ist lang. Jener, der den über viele Jahre in Nordamerika wenig geschätzten Torhütern vom „alten Kontinent" den Weg geebnet hat, starb vor 25 Jahren bei einem Autounfall.

Von klein auf Flyers-Fan

Wenn der Wiener Andreas Nödl heute bei einem Heimspiel der Philadelphia Flyers das Eis betritt, schweben in luftiger Höhe über ihm an der Hallendecke die Banner, die an die beiden einzigen Stanley Cup-Siege der Franchise - errungen in den Jahren 1974 und 1975 - erinnern. Erfolge, die untrennbar mit dem Namen des Torhüters der Flyers zu dieser Zeit verbunden sind: Bernie Parent.

Seine damaligen Leistungen beeindruckten auch einen jungen Goalie in Stockholm, der jeden Zeitungsausschnitt und jedes Video über Parent sammelte und schon in Teenagerjahren seiner Bewunderung für den Torhüter und sein Team Ausdruck verlieh, indem er seine Maske mit dem Logo der Flyers bemalte. Sein Name war Per-Erik Göran Lindbergh, genannt Pelle, und seiner Begeisterung taten auch die ersten eigenen sportlichen Erfolge keinen Abbruch: Als er bei der U20-WM 1979 zum besten Torhüter gewählt wurde, überraschte er die nordamerikanischen Journalisten mit der selbstbewussten Ansage, bald für die Philadelphia Flyers zu spielen - ohne jemals in persönlichem Kontakt mit Vertretern des Klubs gestanden zu haben.

Traum wurde Wirklichkeit

Dieser ergab sich erst einige Monate später, als Lindbergh, der inzwischen - obwohl erst 19 und nur beim Zweitligisten Hammarby aktiv - für Schweden sein A-WM-Debüt gefeiert hatte, einen Anruf vom Chefscout der Flyers erhielt, der ihn über Philadelphias Wahl in der zweiten Runde des NHL-Drafts informierte. Der Westküsten-Klub hatte sich zur Verwunderung vieler - bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich kein europäischer Torhüter richtig in der NHL etablieren - dazu entschieden, sich die Rechte am jungen Schweden zu sichern. Lindbergh war begeistert, sein Traum vom Engagement in Philadelphia erfüllte sich.

Startschwierigkeiten

Zunächst spielte Lindbergh noch für ein Jahr bei AIK in der höchsten schwedischen Liga und festigte seine Position als Nummer eins im Nationalteam. Mit ihm im Tor gelang es den „Tre Kronor" bei den Olympischen Spielen 1980 als einziger Mannschaft, dem später vergoldeten „Miracle on Ice"-Team der USA ein Unentschieden abzutrotzen.
Im Sommer wechselte Pelle Lindbergh schließlich ins System der Flyers. Sein erstes Jahr verbrachte er zur Gänze bei den Maine Mariners in der AHL, wurde dort zum „Rookie of the Year" und MVP der gesamten Liga gewählt. Bis er es in den NHL-Kader Philadelphias schaffte, verging ein weiteres Jahr. Somit war erst die Spielzeit 1982/83 Lindberghs erste komplette im Team der Flyers: An ihrem Ende wurde er ins Rookie Team der Liga nominiert, endlich war er richtig in der NHL angekommen.

Stanley Cup-Finale

Das große Kindheitsidol des Schweden, Bernie Parent, war nach seinem verletzungsbedingten Karriereende 1979 mittlerweile Goaltending Coach der Flyers. Mit seiner Hilfe wurde Lindbergh in der Folge zu einem immer besseren Torhüter. In der Saison 1984/85 führte er die Wertung der Goalies der Liga mit 40 Siegen an, sein überragendes Spiel ermöglichte Philadelphia den Marsch durch die Play-Offs bis ins Stanley Cup-Finale, wo man jedoch den Edmonton Oilers mit Gretzky, Kurri, Messier und Coffey unterlag. Am Ende des Jahres wurde Pelle Lindbergh mit der Vezina Trophy als bester Torwart der Liga ausgezeichnet und war somit der erste Europäer, dem diese Ehre zu teil wurde.

Die Schicksalsfahrt

Die im Sommer 1985 kaum veränderte Mannschaft der Flyers ging als einer der Favoriten in die folgende Saison und wurde dieser Rolle mit zwölf Siegen in den ersten 14 Spielen auch gerecht. In der 15. Partie des neuen Spieljahres wartete die Revanche für das verlorene Finale des Vorjahres: Am 14.November 1984, ein Donnerstag, stand der Besuch der Edmonton Oilers in Philadelphia auf dem Programm.
Die Flyers waren davor einige Tage spielfrei, ihr letztes Spiel gewannen sie am Samstag der Vorwoche gegen Boston. Den Erfolg und die beiden folgenden trainingsfreien Tage feierten die Cracks mit einem gemeinsamen Umtrunk, der bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Lindbergh, Star und Publikumsliebling in Philadelphia, entschied sich, in seinem Porsche 930 selbst nach Hause zu fahren. Ein fataler Fehler: Der Trip endete um 5.41 Uhr morgens an einer Mauer in Somerdale, New Jersey - mit weit überhöhter Geschwindigkeit und hohem Blutalkohol.

Schon beim Eintreffen im Krankenhaus wurde Lindberghs Hirntod festgestellt. Maschinen hielten den Körper des Goalies noch so lange am Leben, bis sein Vater aus Stockholm eingeflogen war. Die Familie entschied, seine Organe zur Spende freizugeben. Damit rettete Pelle Lindbergh zwei Leben, sein eigenes endete jedoch am 11.November 1985 im Alter von nur 26 Jahren.

Pelles Vermächtnis

Das große Spiel gegen Edmonton drei Tage später fand statt, wurde jedoch zur großen und tränenreichen Verabschiedung von einem Torhüter, dem man es in Philadelphia zugetraut hatte, das Team endlich wieder zu einem Stanley-Cup zu führen. In einer mehr als 20-minütigen Zeremonie vor dem Faceoff sprach Lindberghs großes Idol Bernie Parent, den der Schwede nach jahrelanger Zusammenarbeit mittlerweile als seinen „zweiten Vater" bezeichnete, bewegende Worte (siehe Video).

Pelle Lindbergh spielte nur drei volle Jahre in der NHL, dennoch war er Wegbereiter und Türöffner für viele erfolgreiche europäische Goalies nach ihm. Nur wenige seiner Nachfolger kamen an seine Reaktionsschnelligkeit und sein hervorragendes Winkelspiel heran, größtenteils unbewusst ist er jedoch bis heute Vorbild unzähliger Torhüter auf der Welt. Denn der bei körperlicher und mentaler Anstrengung ungewöhnlich schnell dehydrierende Lindbergh war der erste Goalie in der Geschichte des Eishockeys, der eine Wasserflasche mit in sein Tor brachte.
Wann immer ein Torwart in der Eishalle an der Broad Street in Philadelphia vor dem Spiel seine Position am Spielfeld einnimmt und seine Trinkflasche am Netz hinter sich ablegt, ist das ein Moment, in dem auch heute noch viele Fans an den viel zu früh verstorbenen Pelle Lindbergh denken.(Hannes Biedermann, derStandard.at; 12.11.2010)