Achtsamkeit und Intuition könne man nicht lernen, brauche man auch nicht, weil jeder Zugang zu seiner inneren Stimme habe. Hinhören könne aber erlernt werden, sagt Marianne Grobner.

Foto: MCV/Frigesch Lampelmayer

STANDARD: Frau Grobner, Sie leiten das Management Center Vorarlberg - was macht für Sie eine gute Führungskraft aus?

Grobner: Eine gute Führungskraft muss zuallererst einmal die Bereitschaft haben, über sich selbst nachzudenken. Wer für andere Menschen Verantwortung übernehmen will, sollte wissen, warum er das tut. Wie soll jemand, der seine eigenen Werte und Ziele nicht kennt, anderen glaubhaft die Richtung vorgeben? Und führen heißt im Wesentlichen; Menschen beeinflussen, und zwar hoffentlich für ein gutes Ziel.

STANDARD: Gerade nach den letzten wirtschaftlich schwierigen Jahren ist doch der Eindruck entstanden, vielen Führungskräften ist es mehr um quantitative als um qualitative Ziele gegangen.

Grobner: Ja, und das ist ein Fehler. Viele Manager haben sich zu sehr dem Diktat der Messbarkeit unterworfen und konzentrieren sich ausschließlich auf den Output ihrer MitarbeiterInnen. Solche Führungskräfte werden immer mehr außengesteuert und verlieren den Kontakt zu sich selbst und den Mitarbeitern.

STANDARD: In Organigrammen von - vor allem angloamerikanischen - Konzernen findet man immer wieder die Abkürzung "FTE" (Full-time Equivalent) anstelle von "Mitarbeiter". So kommt wohl auch eine Wertehaltung zum Ausdruck?

Grobner: Ja, aus meiner Sicht ist das ein Alarmzeichen. Man denkt in "Köpfen" und übersieht, dass man mit Menschen arbeitet, die ein Herz haben und einen Sinn in ihrer Arbeit sehen wollen. Niemand will instrumentalisiert werden, um Ziele zu erreichen. Wer sich für seine MitarbeiterInnen Zeit nimmt, ihnen erklärt, wohin die Reise gehen soll und vor allem warum, wird sich um ihre Einsatzfreudigkeit nicht sorgen müssen.

STANDARD: Viele Führungskräfte führen - weil vorgeschrieben - ein Mitarbeitergespräch im Jahr und halten das durchaus für ausreichend. Man bekommt in solchen Fällen den Eindruck, das Tool "Mitarbeitergespräch" führt eher zu weniger als zu mehr Dialog.

Grobner: Das stimmt leider in vielen Fällen. Das Mitarbeitergespräch ist eines der meistmissbrauchten Tools überhaupt. Oft ist es zu einer formalistischen Zusammenkunft verkommen, bei der festgestellt wird, ob die vereinbarten Zahlen erreicht worden sind, wo die Leistungsprämie festgelegt wird und anschließend neue Ziele festgelegt werden. Das widerspricht aber völlig der ursprünglichen Intention dieses Tools.

STANDARD: Welche ist das?

Grobner: Einmal im Jahr soll jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter die volle, ungeteilte Aufmerksamkeit des Vorgesetzten zuteil werden. Gemeinsam wird reflektiert, was in der Zusammenarbeit gut funktioniert und was besser gemacht werden kann, welche Aufgaben sich stellen und wie man sie zusammen erreichen kann. Wenn ein solches Gespräch als offener Dialog geführt wird, braucht man sich nicht krampfhaft an einer Checkliste und Beurteilungskriterien zu orientieren.

STANDARD: Das heißt, diese Tools sind sinnvoll, aber nur dann, wenn man sie richtig einsetzt.

Grobner: Sie können sehr hilfreich sein, aber es kommt darauf an, mit welcher Grundhaltung ich sie einsetze. Das Werkzeug allein macht keinen guten Handwerker und ein Führungstool niemanden zu einer guten Führungspersönlichkeit. Da gehört schon wesentlich mehr dazu.

STANDARD: Und das wäre?

Grobner: Vor allem Intuition und Achtsamkeit. Das kann man nicht lernen, braucht es auch gar nicht, denn im Grunde hat jeder von uns Zugang zu seiner "inneren Stimme". Viele haben nur verlernt, darauf zu horchen, oder bringen nicht den Mut auf, ihr zu gehorchen. (Judith Hecht/DER STANDARD; Printausgabe, 13./14.11.2010)