Untergangsstimmung bei der Forscher-Elite: "Es ist alles umsonst gewesen!"

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Wien - Vom Philosophen Ludwig Wittgenstein stammt das Zitat: "Auf seinen Lorbeeren auszuruhen ist so gefährlich wie auf einer Schneewanderung ausruhen. Du nickst ein und stirbst im Schlaf..."

Diese Befürchtung macht sich offenbar unter Österreichs Forscher-Elite breit. In einem Brief an die Regierung warnen die höchstdekorierten Wissenschafterinnen und Wissenschafter des Landes vor einem finanziellen Nickerchen im Wissenschaftsbereich.

Sie wollen sich nicht mit der "unangemessenen Gleichgültigkeit" der Regierung gegenüber Forschung und Uni "abfinden".

Betitelt ist der Brief der 24 Träger des "Wittgensteinpreises" (jährlich ein bis zwei Mal vergeben und mit bis zu 1,5 Millionen Euro pro Preis dotiert) mit "Es ist alles umsonst gewesen!"

"Alles umsonst" meint die "sehr positive" Entwicklung der Spitzenforschung in Österreich bis 2008, die seither "einen Dämpfer nach dem anderen hinnehmen" musste. In Loipersdorf habe die Regierung "endgültig beschlossen, diesen Aufschwung wieder zu stoppen", indem bei Forschung und Unis "praktisch durchwegs gekürzt wird". Die Folge: "Der unmittelbare Schaden, der jetzt in kürzester Zeit angerichtet wird, wird in vielen Jahren nicht aufholbar sein. Österreich wird gegenüber jenen Ländern, die hier eine ganz andere Strategie fahren, empfindlich zurückfallen".

Genannt werden USA, Deutschland, Schweiz, Belgien, Schweden, Finnland und Norwegen, die vorzeigen, dass "gerade in Zeiten der Krise verstärkte Anstrengungen in der Forschung" nötig seien.

"Schon provokant" ist für die Forscher die "ohne viel Getöse" beschlossene Erhöhung der Forschungsprämie von acht auf zehn Prozent, "was die Kleinigkeit von jährlich 100 Millionen Euro kostet (2/3 des jährlichen Budgets des FWF)" - eine "Direktsubvention, die hauptsächlich wenigen Großbetrieben zugute kommt, ohne Begutachtung oder Evaluation, mit fraglicher Relevanz für den Wissenschaftsstandort Österreich".

Die "einzigen Garanten", dass Forschungsmittel "kompetitiv unter internationaler Begutachtung" vergeben werden, seien die Forschungsförderungsagenturen, vor allem der Wissenschaftsfonds FWF müsse gestärkt werden.

Das ist eine Forderung, die am Freitag auch vom Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Jürgen Mittelstraß, im Gespräch mit dem Standard wiederholt wurde. "Der FWF ist nicht adäquat ausgestattet. Und er würde noch an Bedeutung gewinnen, wenn die angestrebte Strukturbereinigung im außeruniversitären Forschungsbereich realisiert wird."

"Re-Integration" in Unis

Zur von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP) geplanten flächendeckenden Streichung der staatlichen Basisförderung, sagte er: "Tiefgreifende Strukturänderungen sollten nicht ohne vorherige Evaluierung erfolgen." Relevant sein dürften "allein wissenschaftssystematische Gründe", nicht bloß Budgetgründe. Wenngleich gelte: "Artenschutz gibt es in der Wissenschaft nirgendwo."

Die (lang geplante) Herbsttagung des Wissenschaftsrats widmet sich übrigens genau dem "Verhältnis von universitärer und außeruniversitärer Forschung".

Die Position des Wissenschaftsrates, der "das zentrale Beratungsgremium der Bundesministerin" ist, ist jedenfalls eindeutig: Er präfiert die Anbindung oder Re-Integration von außeruniversitären Instituten an die Universitäten.

Der zu beratenden Ministerin riet Mittelstraß diplomatisch - er sagte lieber "differenziert" - zum Überdenken der evaluierungsfreien Strukturreform. Aber immerhin: "Wenn die Ministerin mit ihrem Beschluss zuwege gebracht hat, dass darüber diskutiert wird, dann hat sie schon etwas bewirkt."

Ludwig Wittgenstein hätte das vielleicht so formuliert: "Wenn die Menschen nicht manchmal Dummheiten machten, geschähe überhaupt nichts Gescheites."(Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.11.2010)