An drei Wiener Märkten wird neben Spargel, Bärlauch und Rhabarber nun auch Kunst und kultur- historisches Erinnerungs- gut feilgeboten

Foto: Operation Figurini
Wien - Robin Hood von Wien, dieses Attribut musste einmal jemand bekommen. Johann "Schani" Breitwieser bekam es im Vorkriegswien. Der "König von Meidling" bestahl Reiche und gab von seiner Beute den Armen. Die Polizei erschoss ihn, zum Begräbnis kamen 40.000 Menschen.

Die Geschichte dieses vergessenen "Sozialrebells" hebt Wissenschafter Wolfgang Maderthaner in einem Text wieder ins Gedächtnis: Er trägt damit zu einem winzig kleinen Teil der Operation Figurini bei, einem mit 800 Menschen veranstalteten Monsterprojekt des Künstlers Christoph Steinbrener.

Ab morgen, Dienstag (am heutigen Montag ist Vernissage ab 19 Uhr am Karmelitermarkt) werden acht Marktstandmodule für jeweils zwei Wochen am Karmelitermarkt, dem Meidlinger sowie am Victor-Adler-Markt stehen.

Dort fungieren jeden Markttag (jeweils andere) 16 Personen als Standler. Die Leute lud Steinbrener ein: Sie stammen aus unterschiedlichsten Vereinen, NGOs - wie etwa einem Obdachlosenheim, von Vier Pfoten, Kinderfreunden, der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste usw.

Sie verkaufen an den Standeln von 56 Künstlern in unterschiedlichen Auflagen angefertigte Multiples zum Einheitspreis von 25 Euro; der Erlös geht zu 100 Prozent an die Künstler. Jochen Traar etwa hat ein Stundenglas produziert, welches als Weinglas und Aschenbecher dient, die Gruppe H.A.P.P.Y. steuert plüschige Klonbabys bei.

Das Erworbene soll dann in die extra zur Ausstellung produzierte Zeitung eingewickelt werden, für die 56 Wissenschafter je eine Manuskriptseite ablieferten. Acht Überthemen gibt es, die eine Gesellschaft repräsentieren sollten: Natur, Kultur, Herrschaft, Gerechtigkeit, Religion, Sprache, Wirtschaft, Wissenschaft.

Jeweils zwei Begriffe wurden kombiniert, wobei sich acht mal sieben Texte ergaben. Schani Breitwiesers Geschichte gehört dabei dann zu "Herrschaft . . . und Gerechtigkeit". Was aber ist ein Markt ohne Plastiksackerln/Tragtaschen? Das umhüllte Multiple wandert in eines der eine Million (!) mit literarischen Zitaten versehenen Sackerln, die Steinbrener drucken ließ. Sie sollen im Stadtraum auftauchen und, wie es der Künstler definiert, seine soziale Skulptur vergrößern und erweitern.

Enzyklopädisch

Zu kompliziert? Steinbrener, der bereits vor zwei Jahren mit Unternehmen Capricorn eine künstlerisch-historische Untersuchung des Karmeliterviertels vorlegte, geht dabei vom Enzyklopädischen aus. "Durch die breite Streuung der 800 Teilnehmer verfügen wir über Multiplikatoren und Vermittler. Ein von Erwin Wagenhofer und mir angefertigter Film soll zudem Fragen klären, wie es etwa hierzulande zu solch großer Kunstfeindlichkeit kommen kann."

Der Schöpfer dieses "gigantischen Stadtporträts" betrachtet seine ausufernde Operation als Gegenstrategie zu globalem Lifestyle, er will im besten Sinne kein "internationaler Künstler" sein. Als extremen Balanceakt bezeichnet er das Jonglieren zwischen Global- und Heimatkünstler. Die Märkte, die als solche "am Krepieren sind" (Steinbrener), stehen da, überspitzt formuliert, für den Ausverkauf von Kultur und "Identität". Dinge, die vergessen werden wie etwa der Figurini-Mann, Namensgeber des ganzen Projektes. Dieser Mann, meist Italiener, verkaufte an öffentlichen Plätzen via Bauchladen einst Gipsnippes. Für kurze Zeit ist er wieder da. (DER STANDARD, Printausgabe vom 5.5.2003)