Das Interview des türkischen Botschafters in der „Presse“ ebenso wie der jüngste Aufruf österreichischer Intellektueller im Standard, die Integrationsdebatte zu beenden, weil sie per se diskriminierend ist, enthalten beide die gleiche Botschaft:

Wenn Menschen türkischer oder anderer ausländischer Abstammung unter niedriger Bildung, schlechten Deutschkenntnissen, geringem Einkommen, und hoher Arbeitslosigkeit leiden, dann ist die Politik und die Gesellschaft  Österreichs  daran schuld.

Fremdenhass, persönliche Vorurteile, ein sozial undurchlässiges Schulsystem und ein ungerechtes Wirtschaftssystem führen dazu, dass Menschen keine Chance erhalten, die unter anderen Umständen finanziell und sozial mit der Mehrheit gleichziehen würden.

Dieser Überzeugung stehen die Thesen von Thilo Sarrazin, dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der Einwanderung von Arabern und Muslimen stoppen will, und der heimischen Rechten gegenüber, die das Problem bei den muslimischen Einwanderern,  und allgemein beim Islam sehen.

Diese Debatte wird von gegenseitigen Vorwürfen des Rassismus bzw. eines multikulturellen Wahns  begleitet, die verhindern, das über die Kernfrage ernsthaft nachgedacht wird: Welche Rolle spielt Kultur – ob Religion, Traditionen, soziale Strukturen oder Mentalität – beim wirtschaftlichen Fortkommen von Bevölkerungsgruppen?

Diese Frage stellt sich nicht nur in der Integrationsdebatte, sondern auch in der Entwicklungsökonomie (und ist deshalb Thema für einen Wirtschaftsblog). Seit Jahrzehnten gehen Ökonomen und Soziologen der Frage nach, warum manche Länder vor allem in Asien den Sprung aus der Armut in die Wohlstandsgesellschaft schaffen – einst Thailand, Südkorea und Taiwan, heute auch China und Teile von Indien – während die meisten Staaten in Afrika immer weiter zurückfallen.

Geographie und Geschichte spielen dabei eine Rolle, ebenso die Politik, die von den Regierungen verfolgt wird, und die Qualität der Institutionen, die im Land geschaffen werden. Aber all das erklärt nicht die Unterschiede. Wenn Länder mit gleichen Voraussetzungen sich so ungleich entwickeln, landen viele Experten am Ende beim schwer messbaren Faktor kulturelle Unterschiede.

Das ist nicht rassistisch, weil es mit Genetik nichts zu tun hat, sondern mit kulturellen Traditionen. Diese sind - anders als Gene - nicht unveränderbar, aber meist sehr langlebig.

Ostasiatische Gesellschaften sind zumeist bildungshungrig und leistungsorientiert. Selbst arme Familien investieren in die Ausbildung ihrer Kinder und häufen Ersparnisse an, damit es den Nachkommen einmal besser geht. Familien halten zusammen, und Frauen sind zwar nicht immer gleichberechtigt, aber werden ebenfalls ausgebildet.

Die Politik - ob von demokratischen oder autoritären Regierungen – spiegelt diese Präferenzen meist wieder.  Das ist die Grundlage der verschiedenen Wirtschaftswunder, die derzeit die globalen ökonomischen Hierarchien auf den Kopf stellt.

Am anderen Ende der Skala steht Afrika, wo alle Bemühungen mit verschiedenen wirtschaftspolitischen Strategien und Entwicklungshilfe kaum etwa gefruchtet haben. Und auch die arabischen – und  allgemein die meisten islamischen – Staaten gehören zu den Nachzüglern, die trotz besserer Startbedingungen immer weiter zurückfallen.

Religionen sind Bildungshemmer

Welche Schuld der Islam daran trägt, ist unklar. Tendenziell sind alle Religionen Bildungs- und Wachstumshemmer. Sie verengen den intellektuellen Horizont und fördern einen leistungsfeindlichen Fatalismus. Das gilt für den doktrinären Katholizismus genauso wie das ultra-orthodoxe Judentum, wo zwar viel studiert wird, aber nur religiöse Schriften. Eine Bildungsexplosion entsteht meist dann, wenn Menschen oder ganze Gruppen die religiösen Zwangsjacken abschütteln.

Ausnahmen sind – zumindest laut Max Weber und dem aus Wien stammenden US-Soziologen Peter Berger – der Calvinismus und bestimmte andere protestantische Strömungen. Die Ausbreitungen evangelikaler Kirchen in Lateinamerika gilt daher als bildungs- und leistungsfördernd.

 Der Islam steht Bildung und wirtschaftlichem Erfolg nicht grundsätzlich im Wege. Das ist besonders in der Türkei erkennbar, wo der Aufschwung der letzten Jahre zum Teil von einer religiösen, konservativen Mittelschicht aus Zentralanatolien getragen wird.

Aber für wen der Glaube das Wichtigste im Leben ist, der wird weder großen Wert auf ein Studium noch auf weltliche Leistungen legen. Die starke Verwurzelung mit der Religion vieler türkischer und arabischer Migranten in Europa ist daher sehr wohl ein Faktor, der sie gegenüber weniger religiösen Einwanderern benachteiligt.

Wichtiger allerdings sind andere kulturellen Faktoren bei Migranten aus dem Nahen Osten oder Nordafrika: Die archaischen Familien- und Clanstrukturen, die in Ostanatolien oder Nordafrika immer noch vorhanden sind, die geringer Bildung, die die Migranten schon von zu Hause mitbringen, und vor allem die Geringschätzung des Intellekts und der Rechte von Mädchen und Frauen.   

Wenn Frauen nichts zählen, dann fühlen sich auch junge Männer nicht angehalten, sich in der Schule oder am Arbeitsplatz besonders zu beweisen.

 Das gilt nicht für alle muslimischen Einwanderer, schließlich gibt es genügend Erfolgsbeispiele, die auch Der Standard in seiner Integrationserie präsentiert. Aber die Statistiken über Bildungsstand und Arbeitsmarktchancen, die das Durchschnittsbild dieser Gruppe repräsentieren, sind zutiefst ernüchternd.

Es darf einfach nicht übersehen werden, dass Migranten aus anderen Kulturkreisen – und das gilt nicht nur für die aus christlichen Staaten wie Polen oder Kroatien – sich in Europa viel besser schlagen als die meisten Araber und Türken.  

Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind für Inder, Koreaner oder Chinesen nicht immer besser, auch sie können wenig Deutsch und leiden unter Vorurteilen. Den Unterschied macht die Entschlossenheit aus, den Kindern eine höhere Bildung zu bieten.

Umfragen, die zeigen, dass auch türkische Migranten sich Bildung für ihre Kinder wünschen – gemeint sind damit leider oft nur die Söhne – sagen wenig aus. Der Wunsch allein ist nicht genug, man muss bereit sein, dafür Opfer zu bringen. Sonst schaffen es nur die wenigsten zu einem ordentlichen Schulabschluss oder gar an die Universität.

Ehepartner aus dem Dorf

Ein anderer Faktor, der muslimische Migranten wirtschaftlich zurückhält, erfährt viel zu wenig Beachtung: Familientraditionen, die es erzwingen, dass der Ehepartner nicht nur Muslim oder Türke sein muss, sondern aus der eigenen Familie bzw. dem Dorf stammt. Da geht es nicht um Zwangsheirat, sondern um die soziologische Frage, wie sich Einwandererfamilien weiterentwickeln.

Kinder von Migranten wachsen in Österreich auf, lernen Deutsch und sind mit 18 halb integriert.  Dann aber heiraten sie auf Befehl der Eltern einen Cousin bzw. eine Cousine aus Ostanatolien, die nach einigen Jahren dank Familienzusammenführung nach Österreich kann – ohne Deutschkenntnisse und ohne brauchbare Ausbildung.

Die Kinder der dritten Generation wachsen dann in einem Elternhaus auf, in dem Deutsch wieder Fremdsprache ist und keinerlei Fortschritte bei der Integration gegenüber den Großeltern vorhanden sind. Der Schulerfolg von in Österreich geborenen Kindern mit türkischen Wurzeln ist schlechter als der in der Türkei geborenen.

Das ist bei nicht-muslimischen Einwanderern anders, und entspricht auch nicht den Erfahrungen in den Vorbildstaaten USA und Kanada. Dort heiraten Kinder der Einwanderer meist untereinander, was dazu führt, dass ihre Kinder wieder etwas besser integriert sind als ihre Eltern. Unter Europas Muslimen verhindern die Stammestraditionen verbunden mit dem Recht auf Familienzusammenführung einen solchen Prozess.

Deshalb verdienen die Forderungen von Innenministerin Maria Fekter, dass alle Einwanderer Deutsch können müssen, bevor sie einreisen, sehr wohl Unterstützung: Sie können dazu beitragen, dass diese gesellschaftlich destruktive (und menschenunwürdige) Tradition gebrochen wird und Migranten in Europa zumindest untereinander heiraten.

Neben all dem muss man auch über Diskriminierung am Arbeitsmarkt und Benachteiligungen im  Schulsystem für Migranten sprechen. Es wäre auch sinnvoll, wie der türkische Botschafter fordert, wenn Türkisch zur Unterrichtssprache wird. Leider werden sinnvolle Integrationsmaßnahmen von der rechtspopulistischen Allianz von FPÖ und Krone verhindert.

Aber dies ist nur eine Seite der Medaille. Wer behauptet, dass nur das Gastland Österreich für Integrationsprobleme verantwortlich ist und sich jeder Ursachensuche bei den Migranten verwehrt,  verkennt die Realität, verhindert eine ehrliche Debatte und gibt der Ausländerfeindlichkeit damit weiteren Auftrieb.