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Mehr konservative Werte wünscht sich Innenexperte Wolfgang Bosbach vor dem heute beginnenden CDU-Parteitag. Er erklärt Birgit Baumann, warum die CDU Stammwähler nicht vergessen darf.

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STANDARD: Die Umfragewerte für die CDU sind mager. Welches Signal soll vom Parteitag ausgehen?

Bosbach: Es ist ein Wahlparteitag. Ich hoffe, dass die Kandidaten überzeugende Ergebnisse erzielen, denn das bedeutet starke Rückendeckung durch die Partei. In der Sacharbeit muss die CDU zeigen: Auch wenn wir als große Volkspartei in vielen Punkten Meinungsvielfalt haben, kommen wir doch zu klaren Beschlüssen.

STANDARD: Erika Steinbach, die Chefin des Vertriebenenbundes, kandidiert nicht mehr für den Vorstand und beklagt, dass die Konservativen in der CDU keine Stimme mehr hätten. Zu Recht?

Bosbach: Frau Steinbach ist ebenso wenig die letzte Konservative in der CDU, wie ich dort der letzte Konservative bin. Aber dass die Konservativen in der CDU heute nicht mehr die gleiche Bedeutung haben wie in den Sechziger- und Achtzigerjahren ist richtig. Das liegt aber auch an ihnen selber. Wer sich nicht genügend zu Wort meldet, darf sich über mangelnde Resonanz nicht wundern.

STANDARD: Was bedeutet konservativ für Sie persönlich?

Bosbach: Konservativ sein heißt nicht von gestern sein, sondern Bewährtes bewahren, bürgernah sein und bodenständig bleiben.

STANDARD: Halten Sie eine neue, konservative Partei für möglich?

Bosbach: Ich halte eine solche Gründung nicht für ausgeschlossen, aber im Moment auch für nicht wahrscheinlich, weil ich keine bundesweit bekannten, profilierten und charismatischen Persönlichkeiten sehe, die bereit wären, sich an die Spitze einer solchen Bewegung zu stellen. Aber das könnte sich ändern.

STANDARD: Würde Sie selbst ein Engagement reizen?

Bosbach: Ich würde nie gegen Parteifreunde antreten, die mich jahrzehntelang unterstützt haben. Meine Sorge ist nicht so sehr, dass konservative Anhänger zu einer anderen Partei überlaufen, sondern eher, dass sie in die Wahlenthaltung fliehen. Deshalb darf die Union die konservativen Wählerinnen und Wähler nicht vernachlässigen. Die Bundestagswahl und die letzte Wahl in Nordrhein-Westfalen haben gezeigt: Es ist uns nicht ausreichend gelungen, die Stammwählerschaft so zu mobilisieren, dass wir unser Wahlziel 40 Prozent plus x erreichen. Das darf sich nicht wiederholen.

STANDARD: Was heißt das konkret? Man kann ja schlecht konservative Versprechungen machen, wenn die Beschlüsse dann anders aussehen.

Bosbach: In der Tat ist die Übereinstimmung von Wort und Tat besonders wichtig. Gerade jetzt kann die CDU bei wichtigen Themen wie Zuwanderung, Integration oder Schutz des ungeborenen Lebens beweisen, dass die konservative Wurzel in der Union die gleiche Bedeutung hat wie unsere christlich-soziale und liberale Wurzel. Menschen wollen aber nicht nur rational, sondern auch emotional angesprochen werden. Gerade eine Partei wie die CDU muss in ihrer Arbeit deutlich machen, dass Liberalität, Toleranz und Weltoffenheit einerseits und ein unverkrampfter Patriotismus andererseits keine Gegensätze sind.

STANDARD: Viele fürchten, dass es vom Patriotismus zum Nationalismus nicht weit ist.

Bosbach: Man sollte nicht den Fehler machen, Nationalismus und Patriotismus zu verwechseln. Der völlig übersteigerte Nationalismus der Nazi-Diktatur hat viel Leid über unser Land, Europa und die Welt gebracht, und kein vernunftbegabter Mensch wünscht sich einen derartigen Nationalismus zurück. Das würde ein Patriot niemals tun. Patriotismus ist Vaterlandsliebe, und Vaterlandsliebe ist eine gute Sache.

STANDARD: Bundespräsident Christian Wulff setzt der deutschen Leitkultur entgegen, dass auch der Islam zu Deutschland gehört.

Bosbach: Selbstverständlich ist der Islam auch in Deutschland seit Jahrzehnten Realität. Er wird ja auch durch den Bau neuer, großer Moscheen in der Öffentlichkeit immer sichtbarer. Aber deshalb gehört der Islam nicht zur historischen und kulturellen Identität unseres Landes. Wir haben eine gewachsene christlich-jüdische Tradition, keine islamische. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2010)