Deniz Sözen zeigt in ihrem Vidoe-Projekt "Home Stories" skurrile Alltagsbegenheiten zwischen der Mehrheitsgesellschaft und MigrantInnen.

Foto: Akademie d. bild. Künste

"I am present, yet I am not here", murmelt der durch die winterliche Nacht spazierende Mann in der Filminstallation von Nada Prlja. Darin zeigt sie Bilder von Kärnten aus der Perspektive eines tschetschenischen Flüchtlings. Die Künstlerin fordert in ihrer gemeinsamen Arbeit mit Arbi Baidarow, einem in Kärnten lebenden ehemaligen Kameramann aus Tschetschenien, unter anderem auf, Stereotype kritisch zu hinterfragen.

Die Ausstellung "Living Across - Spaces of Migration" hinterfragt, inwiefern sich Räume der Migration definieren lassen und welche Räume durch Migration miterzeugt werden. Gewählt wurden als Raumtypen die Grenze bzw. der Transitraum, die Kontaktzone, in der es zu Begegnungen der Mehrheitsgesellschaft mit MigrantInnen kommt, mediale und mentale Räume (Erinnerungen und Erwartungen) und transnationale Sozialräume.

Mittelmeer mit Doppelrolle

Zum Raum der Verbindung und der Trennung gleichermaßen wird das Mittelmeer im Video "Middlesea" von Zineb Sedira. Es zeigt einen Mann an Bord eines Schiffes der Linie zwischen Algier und Marseilles. Als das Schiff Algier erreicht, ist beim Reisenden eine gewisse Anspannung zu beobachten. Der Film ohne ersichtliche Handlung wirkt in seiner Friedlichkeit vor dem Hintergrund der Mittelmeermigration von Afrika nach Europa, die Tausende Todesopfer fordert, beinahe befremdlich.

"Middlesea" steht in einem starken Kontrast zu den Berichterstattungen über "illegale" Bootsflüchtlinge. In den medialen Berichten wird der Grenze als Linie, die überschritten wird, beim Migrationsprozess besonders viel Gewicht verliehen. Erzählungen über das davor und danach bleiben meist aus. Gleichzeitig will Sedira den Eindruck von Migration als nicht abschließbaren Prozess, der sich geografischen Begriffen wie Herkunftsland oder Zielland entzieht, vermitteln.

Absurditäten des Alltags

Über Missverständnisse bei der Kommunikation, Identitätsfragen und Echtheitsansprüche an transkulturell wandernde Produkte handeln die drei Kurzfilme "Home Stories/Public Diary Project" von Deniz Sözen. Mit viel Humor skizziert die österreichische Künstlerin mit türkischen Wurzeln Situationen zum Teil absurder wie herkömmlicher Anstrengungen der kulturellen Zuordnung von Menschen.

Für das in einem Auslandssemester in London entstandene Projekt wählt sie Alltagsbegebenheiten in den Straßen Londons und Wiens. Basierend auf persönlichen Verstrickungen schlüpft Sözen dabei auch in die Rolle ihres "britischen Alter-Egos" Suzan Dennis, die in drei Sprachen erzählt, aufgrund von "Inat", dem türkischen Wort für Trotz oder Eigensinn, aus dem Bus geworfen wird oder tritt als tanzende Geisha in einem Londoner Kebab-Imbiss auf.

Echtheitsanspruch über Grenzen hinaus

An einer anderen Stelle erzählt ein junger Mann japanischen Ursprungs, dass er in britischen Kebab-Läden immer auf Chinesisch gegrüßt wird und schließt daraus, dass Japaner scheinbar keine großen Kebab-Esser seien, sonst würde die Kebab-Verkäufer inzwischen auch den japanischen Begriff für "Hallo" kennen. In China hingegen seien Kebabs als deutsche Spezialität bekannt, erklärt er.

Am Ende des Videos wird einem jungen Afrikaner, der sich bei einem Wiener Würstelstandbesitzer über den ihm kredenzten Dürüm beschwert, entgegnet, dann könne er ja in die Türkei gehen. Als Antwort untermauert er seine Authentizitätskritik mit dem Vergleich, dass er ja genauso gut Sushi im Senegal verkaufen könnte. Dazu könnte vielleicht der "chinesische" Japaner aus London einen sinnvollen Beitrag liefern.

Sich auf Reflexion einlassen

Ein Streifzug durch die Ausstellung "Living Across" macht vor allem aber die differenzierte Anschauungsweise der KünstlerInnen, mit der sie Bilder der vom politischen Diskurs geprägten Migration aufzeigen, deutlich.

Lässt sich man sich als ZuseherIn komplett auf die Bild- und Video-Inszenierungen bei "Living Across" ein, erhält man Antworten auf die Fragen nach der Bedeutung des Raums für die Identität eines zu- oder auswandernden Menschen. Aber auch auf nicht gestellte Fragen wie jene nach den Erfahrungen in der unmittelbaren Zeit vor oder nach der Migration werden Antworten geliefert - beziehungsweise es wird zu einer Reflexion darüber angeregt.(Eva Zelechowski. 14. November 2010, daStandard.at)