Michael Sailer ist für die deutsche taz "einer der profiliertesten Atomkritiker" und war Mitglied im AkEnd, dem Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte

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Die Proteste erreichten heuer einen neuen Höhepunkt

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Die Proteste der Bevölkerung bei den jüngsten CASTOR-Transporten waren so stark wie schon lange nicht mehr. Für diese verstärkten Proteste gibt es mehrere Gründe, so zum Beispiel die von der deutschen Bundesregierung beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.

Die Problematik bei der Herstellung von Strom aus Atomkraft liegt jedoch nicht nur im Risiko, sondern auch am radioaktiven Müll, der anfällt. Während für leicht- und mittelradioaktive Substanzen Endlager existieren, fehlen sie für hochradioaktive. Der deutsche Nuklearexperte Michael Sailer erklärt nun im Interview mit derStandard.at, warum er meint, dass Deutschland eine Endlagerstätte für hochradioaktiven Atommüll benötigt.

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derStandard.at: Ist Gorleben der optimale Standort für ein deutsches Endlager für hochradioaktiven Atommüll? Sie waren ja auch im AkEnd, dem deutschen „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte", der von 1999 bis 2002 arbeitete.

Sailer: Diese Frage haben wir nicht diskutiert. In Deutschland ging es in den letzten zehn Jahren darum, ein Auswahlverfahren zwischen verschiedenen Standorten zu machen, damit man beurteilen kann, welche Qualität an welchen potentiellen Standorten verfügbar ist.

derStandard.at: Das Moratorium, das die Erkundung von Gorleben unterbrach, lief kürzlich aus. Wie geht es weiter?

Sailer: Die deutschen Regierungen haben sich in den letzten acht Jahren nicht darum gekümmert, Bewegung in die Beantwortung dieser Frage zu bringen, anders als in der Schweiz, in der inzwischen ein Auswahlverfahren durchgeführt wird. In Deutschland haben wir 2002 im AkEnd einen Vorschlag gemacht, der von der Regierung nicht aufgegriffen wurde. Und die jetzige Regierung sagt, sie will erstmal sehen, wie es in Gorleben aussieht.

derStandard.at: Ganz grundsätzlich: Ist die Lagerung unter der Erde der Weisheit letzter Schluss?

Sailer: Man kann außer der Endlagerung in tiefen geologischen Schichten mit dem Atommüll nichts anderes machen. Es gibt keine praktikablen Methoden, wie man die Radioaktivität abbauen kann. Man kann somit den Atommüll nur lagern und gegen Wasser gut abdichten.

derStandard.at: Brauchbare Alternativen gibt es also nicht?

Sailer: Wir am Öko-Institut haben viele Untersuchungen dazu gemacht. Es gibt keine brauchbaren und belastbaren Alternativen. Diesen hochradioaktiven Atommüll muss man sicher eine Million Jahre von den Menschen weghalten. Dieses Lager muss unterirdisch sein, ein oberirdisches Lager wird in dieser Zeit garantiert zerstört und die radioaktiven Stoffe daraus direkt in die Umwelt freigesetzt.

derStandard.at: Wenn wir jetzt darüber nachdenken, wie wenig wir über die Zeit von vor tausenden von Jahren wissen - wie realistisch ist, dass die Menschheit dann ganz einfach vergessen hat, dass an dieser und jenen Stelle ein Atommüll-Endlager existiert?

Sailer: Wenn ich ein Endlager an einer guten Stelle habe, die 800 oder 1000 Meter tief liegt - dann müssen und sollen die Menschen nichts mehr machen. Die Geologie muss die Radioaktivität weg vom Menschen halten - selbst, wenn sie es nicht wissen. Das Endlager muss dicht halten, da darf zum Beispiel kein Reparaturbedarf bestehen.

derStandard.at: Wie realistisch ist jetzt, in Deutschland ein Endlager in der nächsten Zeit zu errichten?

Sailer: Das wird vom politischen Umgang abhängen. Einige Länder in Europa kümmern sich intensiv darum im nationalen Konsens ein Endlager zu finden, etwa die Finnen oder die Schweden. Die Franzosen haben einen klaren Fahrplan erstellt, die Schweizer sind gerade mit der Lagerauswahl beschäftigt.

derStandard.at: Sind die nordischen Staaten technologisch weiter oder ist das eine Frage der Politik?

Sailer: Das ist dort der politische Wille. Das Problem daran ist halt, dass ein Atommüll-Endlager keine 4-Jahres-Geschichte ist. Das ist keine Frage von Wahlperioden. Die deutschen Parteien stehen unterschiedlich zur Atomkraft, mit der Endlagerung muss man sich aber trotzdem beschäftigen.

derStandard.at: Was ist mit neuen Technologien wie etwa der Transmutation?

Sailer: Das ist völlig unrealistisch. Auf ein Endlager kann man nur verzichten, wenn man wirklich 100 Prozent der Radioaktivität umwandelt. Was die Kollegen, die sich mit Transmutation beschäftigen, theoretisch versprechen, ist weit weniger. Sie sagen ja nicht, sie wandeln radioaktive Stoffe in nicht-radioaktive Stoffe um. Sie wandeln sie nur in Stoffe um, die weniger radioaktives Material produzieren, und sie wandeln nicht alle Stoffe um. Transmutation ist eine tolle Ausrede für die, die heute nichts machen wollen. Außerdem besteht die Idee ja nur auf dem Papier, es gibt keine Transmutationsanlage, noch nicht einmal eine Pilotanlage dazu.

derStandard.at: In der Öffentlichkeit wird oft über die Sicherheit von Atomkraftwerken diskutiert. Wie sicher sind hingegen die Zwischenlagerstätten? Gibt es Qualitätsunterschiede zwischen hochentwickelten Ländern wie Deutschland und anderen Staaten?

Sailer: In Deutschland wird für die Zwischenlagerung dieselbe Technologie verwendet wie in der Schweiz und in Tschechien. Diese Technologie wird sicherlich für ein paar Jahrzehnte funktionieren. Aber es legt keiner die Hand ins Feuer, dass diese auch in 80 oder 100 Jahren noch so betrieben werden können.

derStandard.at: Wie wird die Lagerung von radioaktiven Stoffen finanziert?

Sailer: Das funktioniert in jedem Land anders. In Deutschland ist es so, dass der Staat für die Endlagerung gesetzlich verantwortlich ist. Er lässt sich die Kosten für die Endlagerung über die so genannte Endlagervorausleistungsverordnung bezahlen. Das funktioniert nach dem Prinzip: Der Staat wendet z.B. 200 Millionen Euro für die Vorbereitung des Endlagers auf, also bezahlen die Energieunternehmen 200 Millionen Euro als Abschlag auf ihre zukünftigen Einlagerungsgebühren.

derStandard.at: Um welche Summen geht es da?

Sailer: Bisher sind fast 2 Milliarden Euro für Gorleben und den Schacht Konrad investiert worden. Es wird in Zukunft wahrscheinlich noch um ein paar Milliarden mehr gehen, aber keineswegs um Summen wie 100 Milliarden. Außerdem haben wir ja im letzten Jahr gelernt, dass 100 Milliarden fast gar nichts sind (lacht).

derStandard.at: Von verschiedenen Seiten wird immer wieder ins Spiel gebracht, dass man den Atommüll doch mit Raketen ins Weltall schießen soll. Warum kann das nicht funktionieren?

Sailer: Bei der heutigen Tragkraft von Raketen kann man maximal fünf Tonnen Müll auf eine Rakete laden, denn Sie müssen ja aus der Erdumlaufbahn hinauskommen. In Deutschland haben wir momentan etwa 25.000 Tonnen Atommüll. Das bedeutet, man bräuchte 5.000 Raketenstarts. Bezogen auf den weltweit vorliegenden Atommüll ist man dann bei 100.000 und mehr Raketenstarts.

derStandard.at: Gab es in diese Richtung Überlegungen?

Sailer: In diversen Zirkeln gab es Überlegungen. Ein Problem ist eben die Fehlerquote: Wenn jetzt so etwas passiert wie beispielsweise bei Challenger, dann verglüht die Rakete einschließlich ihrer radioaktiven Nutzlast in der Atmosphäre. Die Radioaktivität ist dann vollständig in der Atmosphäre, und nach ein paar Monaten überall verteilt. Die Auswirkungen auch nur eines Fehlers dieser Art wären schlimmer als Tschernobyl. Man könnte die "Weltraum-Lösung" frühestens dann diskutieren, wenn die Fehlerquote pro Raketenstart 1:100.000 ist oder 1:1.000.000, aber nicht bei 1:100, wie das heute der Fall ist. (flog, derStandard.at, 15.11.2010)