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"Die südosteuropäischen Länder sind unsere unmittelbaren Nachbarn, da sollte es doch selbstverständlich sein, dass man sie auch in den Literaturbetrieb einbindet."

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Gabriele Madeja hat Dolmetschen (Englisch und Spanisch) in Wien studiert. Jahrzehnte lang war sie als Literaturjournalistin tätig. Seit 2008 arbeitete sie an der Programmgestaltung der Lesefestwoche.

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Die Buchmesse und Lesefestwoche (Buch Wien)findet heuer zum dritten Mal statt. Im Gespräch mit daStandard erzählt Programmleiterin Gabriele Madeja von Leseschwellenängsten und wie eine Buchmesse diese abbauen helfen kann.

daStandard.at: Welches Ziel verfolgt die Buchmesse? Wer soll angesprochen werden, Leseratten oder Menschen, die (noch) nicht viel lesen?

Gabriele Madeja: In erster Linie geht es uns sicher darum, Neues bekannt zu machen. Es gibt fünf Bühnen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten, zum Beispiel Kinderliteratur, Kochbücher usw. Diese thematische Fülle macht es möglich, dass die Besucher sich ihr eigenes Programm zusammenstellen können und schauen, was sie interessiert. Für jeden soll etwas dabei sein. Meine Hoffnung ist, dass der niedrige Eintritt die Leute dazu bewegt, sich für das Lesen zu interessieren.

Wie kann eine Lesefestwoche bzw. eine Buchmesse das Lesen an sich schmackhaft machen?

Madeja: Viele Menschen leiden unter einer gewissen Schwellenangst, wenn es um Lesen und Literatur geht. Es gibt beispielsweise viele türkische Familien, die sehr gut Deutsch sprechen, die aber gar nicht auf die Idee kämen, eine Lesung zu besuchen oder in eine Buchhandlung zu gehen, weil sie denken, ihr Deutsch sei nicht gut genug. Es ist den Leuten peinlich und unangenehm, und sie halten sich dann einfach fern vom Literaturbetrieb. Eine Buchmesse ist vielleicht neutraler als eine Buchhandlung, und vom Publikum her auch nicht so eingeschränkt. Bei regulären Lesungen ist es oft so, dass immer dieselben Leute kommen, solche, die ohnehin viel lesen. Eine Lesefestwoche gibt aber die Möglichkeit, Menschen anzubinden und anzulocken, die das Gebotene nicht automatisch kennen und schon gelesen haben.

Die Edition Exil wird beispielsweise ihren diesjährigen Preis (an einen Autor mit Migrationshintergrund, der sich literarisch mit Migration auseinandersetzt, Anm.d.Red.) an der Messe vergeben, und alle Teilnehmer sind aufgerufen, ihre Familien mitzubringen. Wir rechnen also damit, dass beispielsweise viele türkische Familien da sein werden. Eine Preisverleihung ist ein schöner Anlass, sich mit Literatur auseinanderzusetzen, da ist man stolz und viel eher bereit, etwas Neues aufzunehmen. Das ist ein wichtiger Schritt, denke ich.

Ein Schwerpunkt ist Literatur aus Südosteuropa. Was hat es damit auf sich?

Madeja: Die südosteuropäischen Länder sind unsere unmittelbaren Nachbarn, die nicht mehr durch schreckliche Grenzen von uns getrennt sind, da sollte es doch selbstverständlich sein, dass man sie auch in den Literaturbetrieb einbindet. Unser Partner Kulturkontakt kümmert sich beispielsweise darum, dass literarische Übersetzungen gefördert werden, damit ein Austausch stattfindet. Es ist nicht immer einfach, weil die betreffenden Länder keine hohen Literaturförderungen haben. Einreichungen für die Verlage dauern lange, es geht einfach nicht so leicht vor sich, wie wenn man beispielsweise Italiener oder Franzosen einlädt. Polen ist zum Beispiel auf die Leipziger Buchmesse spezialisiert, sie geben ihr ganzes Geld dafür aus. Mein Ziel ist, dass alle osteuropäischen Länder hier bei uns vertreten sind.

Nach welchen Kritierien werden die Autoren ausgesucht? Spielt die "geographische bzw. ethnische Quote" eine Rolle?

Madeja: Eins vorweg: Gute Literatur ist immer international. Aber ich denke, man soll durchaus ein bisschen merken, woher die Geschichten kommen. Um Qualität und Quote zu versöhnen, braucht man viel Zeit, man muss sich ständig weiterbilden, bis man merkt, wie jemand schreibt. Ich bin ganz dagegen, dass man die Autoren sozusagen abzählt und sagt, wir brauchen zwei Autoren aus dem Kosovo und einen aus Montenegro, weil ja schon zwei aus Kroatien auch da sind usw. Diese Denkweise müsste schön langsam aufhören, und die Literaten müssten anfangen, für sich selbst zu stehen.

Kann sich die Buchmesse in Wien mit dem Schwerpunkt Südosteuropa einigermaßen im deutschsprachigen Raum profilieren?

Madeja: Für die Frankfurter und Leipziger Buchmesse stellt Wien natürlich keine Konkurrenz dar, Frankfurt würde uns ja auslachen (lacht). Frankfurt ist im Buchbusiness die Nummer eins. Leipzig ist ein wenig marginal, hat aber seit dem Fall der Mauer enormen Aufschwung erlebt.

Wenn wir es schaffen, einen Ruf zu etablieren, dass wir Neues aus den Nachbarländern finden, oder auch gute Autoren, die in ihren Ländern etabliert sind, wenn wir vermitteln können, dass da wunderbare Erzähler am Werk sind, dann würde das auch das Renomme Wiens als Messestadt enorm aufwerten, weil Verlage ihre Bücherscouts zu uns schicken würden. Natürlich braucht man Zugpferde wie Ken Follet oder Donna Leon, damit der Durchschnittleser durch Namen, die er schon kennt, aufmerksam gemacht wird. Aber die Hoffnung ist, dass er dann auch Neues kennenlernt. (Mascha Dabić, 15. November 2010, daStandard.at)