ModeratorIn: Wir begrüßen Werner Jungwirth, Vorsitzender der FH-Konferenz, im derStandard.at-Chat und bitten die UserInnen um Fragen!

Werner Jungwirth: Herzlich Willkommen, ich freu mich auf die nächste Stunde, ich hoffe dass wir eine spannende Diskussion haben können.

leony: Es gibt einen Ausbaustopp für FH-Anfängerplätze. Welche Probleme ergeben sich dadurch?

Werner Jungwirth: Ich hoffe dass der Ausbaustopp nicht endgültig ist. Es gibt zumindest Signale in diese Richtung. Wenn es tatsächlich dabei bliebe, hätte das natürlich fatale Folgen für die weitere Entwicklung des Fachhochschulsektors, da Stillstand bekanntlicherweise Rückschritt bedeutet und damit die Chance verloren geht einen Beitrag zur Entlastung des tertiären Bildungssektors und damit der Universitäten zu leisten.

hotzenplotz1002 #1: Sehr geehrter Herr Jungwirth. Sie unterstützen das Bildungsvolksbegehren von Hannes Androsch. Was erhoffen sie sich davon?

Werner Jungwirth: Also ich denke, dass es dringend notwendig ist eine sachliche Diskussion zum so wichtigen Bildungsthema zu führen. Eine Diskussion die ohne Einzel- und Gruppeninteressen stattfindet nur mit dem Ziel ein konsistentes Bildungsangebot für die Jugend zu Verfügung zu stellen, da diese die Zukunft unseres Landes sind.

rotgrüner fleck: Mir fällt auf, dass in sämtlichen Debatten über verschiedenste Themen irgendwann immer die Rede auf das Desaster unserer Bildungspolitik kommt. Warum dauert in Österreich ihrer Meinung nach eine radikale Reform so lange?

Werner Jungwirth: Ich bin kein Politiker, insoferne nicht der richtige Ansprechpartner. Allerdings glaube ich, dass wie eben vorhin ausgeführt die verhärteten Positionen, die durchaus auch ideologisch von allen Beteiligten geführt wird, einem Reformprozess nicht gerade förderlich ist. Ob es eine radikale Reform sein soll/muss, würde ich nicht in den Vordergrund stellen weil damit bereits Schuldzuweisungen an die derzeitigen Akteure erfolgen, was einer offenen Diskussion, einer zielorientierten, einer sachlichen Diskussion mit Sicherheit nicht förderlich sein wird.

ingwerbaron: Guten Tag, was halten sie von Zugangsbeschränkungen für Universitäten analog zu denen an Fachhochschulen?

Werner Jungwirth: Ich denke, dass die aufnehmende Organisation die Möglichkeit haben muss ihre Studierenden bestens zu betreuen. Das ist nur möglich wenn die Rahmenbedingungen der Nachfrage entsprechen und daher ist die Forderung nach freiem Hochschulzugang zwangsläufig damit verbunden die Ressourcen entsprechend zu erweitern oder alternativ eben Zugangsbeschränkungen einzuführen bzw. die Studierendenströme durch entsprechende Beratung dort hinzulenken wo entsprechend freie Studienplätze vorhanden sind bzw. wo es einen Bedarf gibt.

M Stockmayer: Hallo Werner, zunächst einmal herzliche Gratulation zum Aufbau der FHs in Österreich. Wo siehst Du in 10 Jahren die FHs im Vergleich zur Uni. Liebe Grüße, Manfred Stockmayer

Werner Jungwirth: Hallo Manfred, nice to meet you und danke für deine freundlichen Worte. Jetzt könnt ichs mir leicht machen und könnte sagen ich bin kein Hellseher, aber ich bin davon überzeugt, dass die Entwicklung der Fachhochschulen aus vielen Gründen weitergehen wird. Hoffentlich mit Rahmenbedingungen die die Dynamik nicht bremsen. Quantitativ könnte ich mir vorstellen in zehn Jahren mindestens 50.000 Studierende im Fachhochschulsystem zu haben. Dann hätte das auch einen Entlastungseffekt für den tertiären Bildungssektor, da FHs einen sehr hohen Output haben und im Regelfall die Studiendauer auch eingehalten werden kann, was ja eine der gesetzlichen Vorgaben im FHStG 93 ist. Ich hoffe, es geht dir gut und vielleicht treffen wir uns mal auf einen Kaffee.

ModeratorIn: Eine Frage per Email: Was sagen Sie zur Kritik, dass FH-Studenten in erster Linie darauf getrimmt werden, der Wirtschaft zu dienen?

Werner Jungwirth: Das ist eines der vielen Klischees, die verbreitet werden. Wenn Sie sich die Liste der Bacchelor und Masterstudiengänge anschauen, werden Sie feststellen dass es viele Studentenangebote in den Fachhochschulen gibt, die sehr stark mit gesellschaftlichen Fragestellungen beschäftigt sind (zum Beispiel "nicht ärztliche Gesundheitsberufe", Studiengänge der Sozialarbeit und ähnliches mehr).

mada le: Guten Tag Herr Jungwirth, sie waren auch ein Mitbegründer der erster Fernfachhochschule in Wiener Neustadt, wie sehen Sie die Entwicklung dieser Fachhochschule bzw. wird es bald mehr Fernfachhochschule geben?

Werner Jungwirth: Die Fachhochschule Wr. Neustadt hat derzeit mit zwei Filialen (Wieselburg, Tulln) und drei Beteiligungen (FOTEC, FFH, FHI) und ca. 3200 Studierenden knapp 300 fix beschäftigte Mitarbeiter und ca. 600-700 Lehrbeauftragte und fünf Studienbereichen (Wirtschaft, Technik, Gesundheit, Sicherheit und Sport) mit insgesamt 23 Studienprogrammen eine Größe erreicht, die ein weiteres Wachstum insoferne problematisch erscheinen lässt, als dann jener Effekt eintreten würde, den man den "Massenuniversitäten" immer wieder vorhält, dass die Lehrenden und Lernenden einander nicht mehr kennen. Das heißt die Entwicklung sollte aus meiner Sicht in die Richtung gehen bestehende Programme weiterzuentwickeln, aber nicht unbedingt den quantitativen Erfolgsnachweis im Fokus zu haben. Ob es weitere Fernfachhochschulen geben wird kann ich Ihnen nicht beantworten, wir haben eine und werden diese mit allen Kräften weiterentwickeln. Im Übrigen wird das meine Nachfolgerin zu bewerkstelligen haben und ich möchte sie nicht präjudizieren, da ich Ende Jänner als Geschäftsführer in Pension gehen werde.

schnekette: Sollte man die Studienzugänge für Leute ohne Matura an den FHs erleichtern? Wie könnte das gehen?

Werner Jungwirth: Die Studienmöglichkeit ohne traditionelle Reifeprüfung ist grundsätzlich durch gesetzliche bzw. Richtlinien des Fachhochschulrates geregelt. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, die zwei wichtigsten sind dass Personen mit einer einschlägigen Berufsausbildung bzw. dem Absolvieren einer Fachschule mit entsprechender im Regelfall dreijähriger Berufspraxis, ein FH-Studium beginnen können. Der Fachhochschulrat hat seit vielen Jahren geregelt, dass Personen ohne Reifeprüfung im Verhältnis der Bewerbungen zwischen den Bewerbergruppen zuzulassen sind. Im Übrigen bieten die meisten Fachhochschulen Sommerkurse und ähnliche Vorbereitsungslehrgänge an, um diesen Personengruppen den Einstieg zu erleichtern. Leider ist das viel zu wenig bekannt.

zensuralfred: Hallo, halten sie die Studentenproteste für Gerechtfertigt?

Werner Jungwirth: Wenn Sie von mir eine pauschale Absolution erwarten, dann muss ich Sie enttäuschen, was nicht heißen soll, dass ich diese Studentenproteste nicht verstehe. Ich schließe an an eine Aussage von mir, dass natürlich die Balance zwischen Studierenden und dem Equipment gegeben sein muss. Das ist aus verschiedenen Gründen derzeit nicht der Fall, umso wichtiger wäre es hier abseits von ideologischen Standpunkten einen wie ausgeführt zielorientierte offene problemlösungsorientierte nicht nur Diskussion sondern auch Umsetzung, so rasch als möglich in die Wege zu leiten. Dann würden sich die Proteste von Haus aus von selbst erledigen. Das ist die vordringendste Aufgabe der Politik und auch einer der Hintergründe für meine Beteiligung an diesem Bildungsvolksbegehren.

mad as hell: In der Antwort auf "ingwerbaron" schreiben Sie: "die Ressourcen entsprechend zu erweitern oder alternativ eben Zugangsbeschränkungen einzuführen". Welche dieser beiden Möglichkeiten hielten sie für die bessere Lösung der österreichischen Bildungspro

Werner Jungwirth: Das ist eine finanzielle Frage und wahrscheinlich ist aufgrund der budgetären Situation derzeit eine Erweiterung nur bedingt möglich. Wenn es finanziell leistbar ist, ist natürlich es die Verpflichtung einer Gesellschaft so vielen wie möglich den Zugang zu ermöglichen.

ModeratorIn: Eine Frage per Email: Oft wird kritisiert, dass unsere Maturanten nicht ausreichend auf die Uni/FH vorbereitet sind. Wie sehen Sie das?

Werner Jungwirth: Auch hier ist eine pauschale Aussage wie angeführt falsch. Es gibt sicher Maturanten die gewisse Wissensdefizite aufweisen, diese kann man aber im Regelfall durch entsprechende Angebote der aufnehmenden Hochschule wie zum Beispiel Summer schools weitgehend ausgleichen. Für einen Studienerfolg sind aus meiner Sicht einige andere Faktoren von entscheidender Bedeutung. Das ist einerseits das Interesse des Studierenden am Fach und damit verbunden die Motivation sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen und bei allem Verständnis, dass es für Jugendliche nicht immer einfach ist Prioritäten zu setzen, gibt es hier natürlich auch unterschiedliche Charaktere, was nicht so zu verstehen ist, dass ich jetzt "Strebern" den Vorzug gebe, da der Abschluss eines Studiums noch lange keine Erfolgsgarantie dafür ist, wie sich jemand in seinem privaten und beruflichen Leben behauptet.

forenkönig: Was halten sie von der Kürzung der Basisversorgung für außeruniversitäre Institute, die jetzt zum Teil von der Schließung bedroht sind?

Werner Jungwirth: Die Frage ist, warum diese Drohung besteht. Ich denke wenn ein außeruniversitäres Forschungsinstitut hohe Qualität an Forschungsleistung erbringt, egal in welchem Wissensbereich, dann wird sich diese Gefahr von selbst erledigen. Auf der anderen Seite ist es jedenfalls zu akzeptieren, dass unabhängig von der budgetären Situation alle Empfänger öffentlicher Mittel sich evaluieren lassen müssen, um den Mitteleinsatz zu rechtfertigen. Auch Fachhochschulen müssen sich in 5jährigem Abstand evaluieren, reakredditieren lassen und darüber hinaus sind sie auch rechnungshofprüfungspflichtig. Das heißt ich denke der der gute Arbeit leistet, den wird sich die Wissenschaftspolitik jedenfalls "leisten müssen", im Interesse der Entwicklung unserer Volkswirtschaft. Wir sind ja in einer Situation dass die Globalisierung auf allen Gebieten Platz gegriffen hat. Darüber kann man lange diskutieren, aber es ist eine Tatsache und wir müssen uns heute international der Konkurrenz stellen, wenn uns das nicht gelingt dann werden wir zurückbleiben und die "Insel der Seligen" wird dann in einem großen Meer neu entdeckt werden müssen.

meryn: Was halten Sie von der Performance von Wissenschaftsministerin Karl?

Werner Jungwirth: Ich schätze an der Frau Bundesminister ihre sehr eloquente und strukturierte Amtsführung. Sie hat es nicht leicht und ich wünsche ihr gute Nerven, weil sie eines der wichtigsten Ressorts in dieser Bundesregierung zu verantworten hat.

Jar Jar Binks: Am Anfang der der FH Zeiten (Mitte der 90er Jahre) war von Mittelaufbringung und Beteiligung seitens Wirtschaft und Industrie die Rede. Diese finanziellen Zusagen sind so aber nie Wirklichkeit geworden. Ist dies richtig?

Werner Jungwirth: Es ist richtig dass die Erwartungen an der Beteiligung privater Mittel größer war, als sie vordergründig zu sein scheint. Beteiligungen gibt es sehr wohl, einerseits durchaus im Wege von Miteigentümerschaften, Sponsorship und vor allem im Bereich der Kofinanzierung von Projekten, sowie dem zu Verfügung stellen von verpflichten Praktikumsplätzen für die Studierenden. Das dieser Bereich entwicklungsfähig ist, ist unbestritten, es kann immer mehr sein wobei insbesondere im Bereich F&E die konfinanzierten Projekte ständig zunehmen.

bachelorabsolvent: Wie schätzen sie die Akkzeptanz des Bachelors ein. Vor allem im Bundesbereich gibt es für diesen immerhin akademischen Grad keine gesonderte Gehaltsklasse?

Werner Jungwirth: Lieber Kollege, mir ist die Problematik bewusst. Wie alles dauern neue Entwicklungen in unserem Land etwas länger und ich darf Ihnen zu Ihrem Trost hoffentlich sagen wir hatten eine ähnliche Situation, wie wir als Fachhochschulen begonnen haben und die Absolventen den akademischen Grad Diplomingenieur (FH) bzw. Mag. (FH) erhalten haben. Auch damals wurde im öffentlichen Dienst diese Absolventen nicht zur Bewerbung um "A-Posten" zugelassen und nur darum geht es eigentlich. Erst 2007 oder 2008 wurde durch Verordnung diese Ungleichbehandlung beseitigt, was auch wesentliche Auswirkungen auf die Bezahlung dieser Absolventen in der Privatwirtschaft hatte, da sich Unternehmungen sehr wohl an den Gehaltsvorgaben des Bundes orientieren. Seit der Umstellung auf das "Bologna"-System gibt es in Österreich einen neuen akademischen Grad, nämlich den Bacchelor, der nun mit der gleichen Problematik konfrontiert ist. Ich gehe davon aus, dass das mittelfristig sich auch erledigen wird, da insoferne eine andere Situation jetzt besteht, da auch Universtitäsabsolventen und nicht nur Fachhochschulabsolventen mit dieser Problematik konfrontiert sind und daher der öffentliche Druck ja bereits besteht, wie ich heute zum Beispiel den Medien entnommen habe. Es muss der Bacchelor als akademische Berufsausbildung akzeptiert werden, um der Bologna-Idee nachzukommen oder zu entsprechen.

meryn: Wie wirkt sich die Umstellung auf Bologna auf die FHs aus? Sehen Sie den Bolognaprozess positiv?

Werner Jungwirth: Grundsätzlich ja. Die Umstellung muss natürlich der Zeilsetzung einer akademischen Berufsausbildung entsprechen, das heißt man kann nicht Studienpläne eines Diplomstudiums (8 Semester) komprimieren zu einem sechssemestrigen Bacchelorstudiengang ohne inhaltliche und didaktische Schwerpunktsetzungen zu realisieren. Ich denke in ein paar Jahren wird sich keiner mehr vorstellen können dass es etwas anderes gegeben hat. Anmerkung: wie ich mit meinem Studium begonnen hab, hats den Diplomkaufmann gegeben. Dann wurde umgestellt auf Magister, viele waren entsetzt dass Kaufleute jetzt Apotheker werden und heute bedauern wir, dass es wieder ein neues Graduierungssystem gibt.

adler15: Bei der PISA-Studie sind wir bestenfalls im Mittelfeld, bei der Pearlsstudie (Lesestudie) schneiden wir noch schlechter ab. Was müsste im Schulsystem, oder im vorschulischen Bereich passieren, dass die Ergebnisse besser werden? Ist die Neue Mittelsc

Werner Jungwirth: Mir stehen 1500 Zeichen zur Beantwortung Ihrer ungeheuer komplexen Frage zu Verfügung, das ist viel zu wenig. Ich würde mir gerne eine Stunde Zeit nehmen mit Ihnen diese Frage persönlich zu diskutieren, vielleicht können Sie zu mir Kontakt aufnehmen, damit wir diese wirklich wichtige Frage ernsthaft diskutieren können.

meryn: Wie erklären Sie sich, dass FHs sozial besser durchmischt sind als Universitäten?

Werner Jungwirth: Hier gibt es mehrere Erklärungen, erstens, die Regionalisierung des tertiären Bildungssektors hat neue Bildungspotentiale eröffnet, zweitens, ist es durch die Studienorganisation und damit verbunden der Möglichkeit des Einhaltens der vorgesehenen Studiendauer und drittens, durch die Nähe zu den Lehrenden für die Studierenden einfacher und motivierender und für die Eltern finanziell leichter zu leisten. Auch die Zulassung der Studierenden aus nicht traditionellen Vorbildungen öffnet Möglichkeiten für "Bildungsreserven".

bachelorabsolvent: Wenn sie die letzten Jahre zurückblicken, sehen sie einer Verbesserung oder Verschlechterung für den tertiären Sektor?

Werner Jungwirth: Wie heute bereits mehrfach ausgeführt ist durch die verstärkte Nachfrage nach Studienplätzen auch durchaus aus dem europäischen Ausland der Druck auf den tertiären Bildungssektor massiv gestiegen. Dieser verstärkten Nachfrage hat sicher in manchen Bereichen die Ressourcenentwicklung sicher nicht standgehalten.

ModeratorIn: Wir sind am Ende unserer Chatzeit angekommen. Wir danken den UserInnen für die Fragen und Werner Jungwirth fürs Kommen!

Werner Jungwirth: Ich bedanke mich für die angeregte Diskussion, entschuldige mich für die sicher nicht immer umfassende Beantwortung Ihrer komplexen Fragen bzw. bei all jenen, die nicht mehr zum Zug kommen konnten. Wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, have a nice day.