Die ÖVP ist in einem schlechten Zustand. Man müsste sich Sorgen machen, wäre man dort in leitender Funktion. Jämmerlich ist eine durchaus treffende Beschreibung. Daran trägt auch der Parteichef Schuld, und er muss es ausbaden: Josef Pröll hat erstmals ausnehmend schlechte Umfragewerte, sein Image ist ordentlich angeknackst.

Lange hatte Pröll von einer für ihn günstigen Stimmung profitiert, deren Ursache wohl auch in der Schwäche der anderen lag. Pröll hatte ein Sieger-Image, ohne gesiegt zu haben, er hatte ein Macher-Image, ohne etwas gemacht zu haben. Jetzt droht dieses Image zu kippen.

Die Ursachen dafür sind vielfältig, sie liegen in Wien und in den Ländern, sie sind im Budget begründet, haben mit dem Onkel zu tun und mit Josef Pröll selbst.

Die Wien-Wahl war desaströs, die innerparteiliche Nachbearbeitung war es auch: Christine Marek ist derart beschädigt, dass sie den Karren nicht mehr aus dem Dreck kriegen wird. Aus der Oppositionsrolle gegen Rot-Grün müsste sich doch etwas machen lassen, man müsste es nur jemanden machen lassen. Marek kann es nicht, das traut ihr nicht einmal die eigene Partei zu - sie wurde am Freitag mit nur 14 gegen neun Stimmen zur Klubobfrau gewählt. Darin liegt schon der Keim für die nächste Niederlage. Pröll hat Marek in diese missliche Situation gebracht, jetzt müsste er die Situation wieder auflösen, sonst bleibt das Monopol der Opposition und des Wahlengewinnens bei der FPÖ.

Auch die Suche nach einer Nachfolgerin für Marek als Staatssekretärin war kein Ruhmesblatt für Pröll. Letztendlich offenbart die Gefundene die Hilflosigkeit des Parteichefs: Eine Frau musste es sein, Tirol und ÖABB, und man fand eine Verena Remler nach etlichen anderen Absagen schließlich im Gemeinderat in Lienz. Inhaltlich lässt sich über die Neo-Staatssekretärin noch nichts sagen.

Von größerer Bedeutung ist das Budget: Es ist leider schlampig. Nicht ehrgeizig, nicht ausgeglichen. Es tut weh, aber nur ein bisschen, selbst für größere Schmerzen fehlte die Ambition. Es trifft die Familien und den Mittelstand, es schont die Reichen. Die eigenen Leute proben offen den Aufstand gegen Pröll, auch gemeinsam mit den anderen, vor allem in den Ländern. Eine solch offen zur Schau getragene Illoyalität mit dem Parteichef hat es in der ÖVP lange nicht gegeben. Nicht unter Wolfgang Schüssel.

Obwohl Pröll geneigt scheint, den Ländern viel durchgehen zu lassen, ist er dort nicht hoch angesehen. Man droht ihm sogar mit Klagen wegen des Budgets. Der Onkel, Landeshauptmann von Niederösterreich, trat nach dem Budgetgipfel mit den Ländern lieber mit dem Kanzler vor die Presse als mit dem Neffen und Finanzminister. Quasi demonstrativ. Dabei bemüht sich Pröll, Josef, sehr: In der Krone, Oberösterreich-Ausgabe, wirft er sich für den Westring auf die Straße, dem aus budgetären Sparzwängen - ja, das Pröll-Budget - das Aus droht, und erntet die Schlagzeile: "Pröll kommt uns doch zu Hilfe." Da könnte selbst Werner Faymann aus Scham erröten.

Das ist übrigens interessant: wie sich Faymann im Augenblick wegduckt, wenn es um das ungeliebte Budget oder die nicht stattfindende Verwaltungsreform geht. Als ob er nichts damit zu tun hätte, als ob das eine wie das andere nicht auch Chefsache wäre. Aber es gibt eben Situationen, in denen Faymann seinem Partner durchaus gerne den Vortritt lässt. (Michael Völker, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.11.2010)