Graz - Es ist später Nachmittag im Interkulturellen Bildungsgarten in Graz. In der Küche sitzen ein paar der insgesamt 50 Kinder aus 23 Nationen plaudernd bei der Jause. Andere toben und tanzen im Turnsaal, während im etwas ruhigeren Montessorizimmer zwei der Jüngeren schlafen. Im Bastelraum sitzt die Leiterin, Sandra Meiser-Lang, mit Mitarbeitern und näht bunte Kinderlederschuhe für den Weihnachtsbazar. Der Erlös soll einen neuen Herd mitfinanzieren, der alte sei nach 16 Jahren "eingegangen".
Warum das Wort Kinder aus dem Namen der Einrichtung verschwand, erklärt Meiser-Lang so: "2009 haben wir den 18. Geburtstag gefeiert. Der Kindergarten ist also erwachsen geworden - und wir wollen darauf hinweisen, dass hier Bildung passiert". "Es geht auch um die fehlende Wertschätzung unserer Arbeit in der Öffentlichkeit", ergänzt der Kindergärtner Nevenko Bucan.
Der gelernte Politologe und einstiger Journalist kam vor über 20 Jahren aus Kroatien nach Graz, wo er den Kindergarten kennenlernte und den Beruf wechselte. Seit fast 20 Jahren leistet die Einrichtung, in der stets die Hälfte der Kinder Migrationshintergrund hat, pädagogisch - man arbeitet nach Maria Montessori sowie Rebecca und Mauricio Wild - aber auch in Sachen Integration sehr erfolgreiche Arbeit.
Kinder lernen hier schnell und gut deutsch, und im neunköpfigen Team fragt man sich oft, "warum Integrations-Beauftragte und Experten nicht zu uns kommen und sich anschauen, wie wir arbeiten". Worin der Erfolg des Modells begründet liegt? Was den Spracherwerb angeht, sei wichtig, "dass die Hälfte der Kinder Deutsch - zumindest als zweite - Muttersprache spricht und es damit eine dominante Sprache gibt", sagt Meiser-Lang. Dass in manchen Einrichtungen 80 Prozent kein Deutsch verstehen, sei das Problem. "Man müsste die Kinder nur besser aufteilen", ist die Leiterin sicher.
"Respekt und Liebe"
Aber auch die pädagogischen Ansätze seien gerade dort, wo mehrere Kulturen aufeinander treffen, extrem wichtig. Kurz gesagt: Ohne Respekt und Liebe und mit Zwang und Angst gehe gar nichts. Und die Vielsprachigkeit von Kindern und Betreuern sei "für alle sehr motivierend", erzählt Bucan, "für die Kinder ist es Normalität, dass auf unserer Insel alles kunterbunt ist".
Religion ist hier Privatsache, die daheim stattfindet, "aber wir laden immer wieder Eltern ein, mit uns ihre Feste zu feiern", erklärt Meiser-Lang. Man feierte gemeinsam das Zuckerfest am Ende des Ramadan und das jüdische Shavuot (vergleichbar mit Erntedankfest). Muslimische Eltern nahmen auch gerne am Adventskranzbinden teil. Ob dabei eine Frau ein Kopftuch trägt, sei hier "eigentlich kein Thema".
Dass Arbeit mit Kindern nicht genug gewürdigt wird, spürt man hier aber auch. "Wir verdienen weniger als Autoverkäufer", bemerkt Bucan, der als Mann in der Statistik der Kindergärtner eine Ausnahme ist. Die gleiche Erfahrung macht auch Aminou Banna aus Togo, der als Gymnasiast in Graz von einer Lehrerin auf die Idee gebracht wurde, Kindergärtner zu werden: "Sie nehmen uns nicht ernst, und es gibt deswegen wenig Männer, die diesen Job machen. Dabei sei es herrlich, auch das Kind in sich selbst ausleben zu können", lacht Banna.
Dass man von den Kindern lernen kann, glaubt auch die Mexikanerin Olivia Hurtado. Aber auch, dass man im prägenden Alter von drei bis sechs "eine Gesellschaft positiv verändern kann". Sie resümiert: "Ich habe diesen Beruf gewählt, weil ich Kinder mag und Idealistin bin." (Colette M. Schmidt/DER STANDARD-Printausgabe, 16.11.2010)