Hochzeitsgarderobe im türkischen Viertel des Bezirks Ottakring: Immer wieder sind es Minderjährige, die mit Verheißungen vom Prinzessinnendasein zur Zwangsehe gedrängt werden.

Foto: Corn

Wien - Er wolle nur das Beste für sie, hatte der Vater beteuert. Doch dann saß Laila in einem gottverlassenen Dorf diesem wildfremden Mann gegenüber, den sie schon am nächsten Tag heiraten sollte. Von Liebe, die sich mit der Zeit bestimmt einstellen werde, sprach der Bräutigam, jeden zweiten Satz beendete er mit einem "Inschalla" . Da nahm Laila all ihren Mut zusammen, um - sie drückt es in lupenreinem Wienerisch aus - zu sagen: "I wü net!"

Die drei Worte brachten die Welt der versammelten Familie zum Einsturz. "Sie sagt Nein, weil sie nicht mehr Jungfrau ist" , zeterten die Verwandten. Mit Prügeln drohte der Vater, die Mutter warnte: "Sei froh, dass du überhaupt jemanden kriegst, so wie du bist."

Ein Glück, dass damals das Ehefähigkeitszeugnis gefehlt hat - sonst hätte Laila vielleicht nachgegeben. So aber sitzt die junge Araberin nicht mit einem aufgezwungenen Gatten am Tisch, sondern mit zwei Betreuerinnen des Orient-Express in Wien. Im diskreten Vereinslokal suchen Frauen Hilfe, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollen. Immer wieder sind es Minderjährige, die mit Verheißungen von Traumhochzeit und Prinzessinnenleben gelockt werden. Wehrt sich die Braut aber, endet das Märchen nicht selten mit Psychoterror und Übergriffen, bis hin zu Vergewaltigungen.

In Österreich stammen die meisten Opfer aus der Türkei und kurdischen Gebieten, doch auch Frauen aus Indien oder Sri Lanka suchen Schutz, sogar eine Griechin war schon im Orient-Express. Den Islam halten die meisten Expertinnen eher für einen willkommenen Vorwand der Väter, in Wahrheit lägen die Wurzeln in archaischen Traditionen, die Familienehre über alles stellen. Nicht nur wirtschaftlichen Vorteil suchen die Patriarchen per Heiratspolitik, sie möchten die Töchter unter die ausgewählte Haube bringen, damit sie der Sippe keine Schande machten. Eine Betreuerin sagt: "Da heiraten nicht zwei Menschen, sondern zwei Familien."

"Wenn sich dein Mann nicht um dich kümmert, dann zumindest deine Kinder" : So versuchte Lailas Mutter ihrer Tochter die Ehe einzureden. Die 19-Jährige ist von Geburt an fast blind - da brauche sie Beschützer. Doch letztlich, glaubt Laila, tue ihr Handicap nichts zur Sache. Könnte sie sehen, wäre sie nicht auf einer für Behinderte tauglichen Schule in Österreich gelandet: "Dann wäre ich wie ein 08/15-Fall in meiner alten Heimat verheiratet worden."

Aus Überredungsversuchen wurden Schikanen. Der Vater drehte den Fernseher auf Überlautstärke, damit Laila ihren Sprachcomputer nicht verstehen konnte. Er beschimpfte sein Kind als blinde Kuh, ließ sie um Ausgang betteln, wollte mit ihr zum Jungfrauentest. Laila stimmte listigerweise zu - und zerstreute so die elterlichen Befürchtungen.

Lange hat sie nicht geglaubt, dass ihr Vater die vielen Drohungen wahrmacht. Ein Irrtum. Mit dem Mann einer Freundin, die zur Sicherheit Lailas Dokumente aufbewahrte, fing er eine Schlägerei an. Seine Tochter schleuderte er so fest gegen die Wand, dass sie sich eine Gehirnprellung zuzog. Weder das Spital noch Laila haben den Vorfall angezeigt.

Laila flüchtete ins Ausland - und kehrte einmal mehr heim, in der Hoffnung, die Familie werde irgendwann von ihr ablassen. Knapp war sie dran, doch einzulenken. "Mein Vater war verzweifelt" , erzählt Laila, "und ich habe irgendwie geglaubt, er meint es trotz allem gut mit mir" .

Lailas Beraterinnen vom Orient-Express runzeln die Stirn. Schuldgefühle ausreden, Selbstwertgefühl einimpfen: Das sehen die Hilfsstellen als eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Die Entscheidungen - etwa ob sie zurück nach Hause oder lieber in ein Frauenhaus wollen - müssen die Klientinnen letztlich aber selbst treffen. Oft führe am Ende kaum ein Weg daran vorbei, wieder Kontakt zur Familie zu suchen, erzählt Tamar Çitak von der Interventionsstelle gegen Gewalt: "Es ist nicht so leicht, einfach unterzutauchen."

Laila hat sich fürs Alleinsein entschieden. Sie wohnt nun im Studentenheim, studiert an der WU. Der verhinderte Bräutigam schickt immer noch Liebes-SMS, beim letzten Telefonat hat der Vater gesagt: "Kommst du zurück, mach ich dich zu Brei" . Schon dieser Satz würde wohl fürs Gefängnis reichen - weil Laila gegen ihn ausgesagt hat, fasste er eine Bewährungsstrafe wegen Nötigung aus. Die Tochter erwartet deshalb keinen Versuch, sie zur Hochzeit zu verschleppen. Doch sicher ist sicher: Laila hat ihren Pass zerrissen.  (Gerald John/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.11.2010)