Drama mit Vogel Strauß: "Destroy Thingvellir" aus Christoph Schlingensiefs "Animatograph - Iceland-Edition".

 

Foto: Schlingensief-Produktion

Wien - Christoph Schlingensiefs Installation "Der Animatograph" ist nicht zu "betreten". Man krabbelt vielmehr durch ein Hundstürl hinein, und, wow!, schon eröffnet sich eine wirklich manische Welt. Die vor fünf Jahren entstandene "Iceland Edition" des im August verstorbenen Künstlers bildet das Zentrum der neuen Ausstellung "Figura cuncta videntis" von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA 21), die nun bis April 2011 in der Himmelpfortgasse zu erleben ist.

TBA 21 hat zwischen 2005 und 2007 performative Arbeiten initiiert, die in den Magazinkellern der Berliner Staatsoper unter den Linden, einem Fundament der bürgerlichen Kultur, gezeigt und nun für die Wiener Ausstellung zu Installationen adaptiert wurden. Der schöne Titel ist dem Werk "De visione Dei sive de icona liber" ("Buch über den Blick Gottes oder des Bildes", 1483) des deutschen Philosophen, Mathematikers und Theologen Nikolaus von Kues entnommen: das alles sehende Auge, später im Barock ein beliebtes Motiv und 1932 von René Magritte in "L'objet (l'oeil)" so kühl und unheimlich gemalt. Barock ist, was in der Ausstellung präsentiert wird, zum Teil auch - allerdings in Form einer ausufernden Trash-Ästhetik.

In "Figura cuncta videntis" geht es unruhig zu. Der Animatograph ist ein Labyrinth aus mehreren Kammern, das zu einer Drehbühne führt und schließlich zu einem Autowrack, auf dem ein großer Vogel Strauß brütet: "Das Symbol für die Wiedergeburt", verrät die Schlingensief-Akteurin Karin Witt während ihrer Führung durch die Installation. In den Kammern wuchern Modelle und Bilder des isländischen Ur-Parlaments, Texte, Videos, Fotos, Schriftzüge, ein Modell von Schlingensiefs Operndorf in Afrika. Eine überbordende Inszenierung als Rest einer Aktion, in der Island aufgefordert wurde, sich der Welt zu öffnen.

Um Wirbelwind Schlingensief stürmen in der Ausstellung performative Dynamiken wie die von John Bock, Chicks on Speed oder Jonathan Meese (der sich als "Mutter Parzival" inszeniert). Bocks Malträtierte Fregatte erinnert im Einsatz verschiedener zähflüssiger Lebensmittel an Paul McCarthy. Performance, Sound und Konzept ist die heilige Dreifaltigkeit, von der aus sich die Blicke der Chicks on Speed auch in "Art Rules!" ins Publikum richten. Das Live-Ereignis war 2008 im Gartenbaukino zu sehen. Mit den Chicks hat übrigens jüngst die amerikanische Choreografin Ann Liv Young, deren Stück Cinderella gerade im Brut von der MA 36 zensuriert wurde, zusammengearbeitet.

Monument Mensch

Wenn die vergängliche Performance mit Fotos, Video und Relikt-Installation festgehalten wird, entsteht etwas anderes: eine Spur, ein Abdruck, eine Neuinszenierung, die das Vergängliche noch einmal vorführt. Das kann bei Figura cuncta videntis in elf Beispielen nachvollzogen werden. Da ist die Band Japanther zu sehen und hören und ebenso Ragnar Kjartansson auf dem Dachboden des Hauses. Anetta Mona Chisa & Lucia Tkacova zeigen, im Gegensatz zu dem großen Aufruhr rundum, zu Monumenten komponierte Menschenformationen auf Millimeterpapier.

Und im Performanceraum von TBA 21 wird an eine Kooperation von Dan Graham und Tony Oursler mit einem Puppentheater erinnert, die 2005 unter dem Titel "Don't Trust Anyone over Thirty" bei den Wiener Festwochen zu sehen war.

Im gutbesuchten Eröffnungs-Act gab es auch Liveperformances zu sehen, darunter ein Walt Disney Massacre von Palli Banine & David Örn Halldorsson als große Patzerei. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 18. 11. 2010)