Sterne und Planeten krümmen aufgrund ihrer Masse die Raumzeit. Gibt es daneben noch eine weitere Gravitationskraft?

Foto: TU Wien

Die von Daniel Grumiller postulierte Rindler-Kraft könnte einige bislang rätselhafte Phänomene erklären.

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Wien - Morgen muss Daniel Grumiller über Schwarze Löcher referieren, womit er die Lehrbefugnis für theoretische Physik erwerben will. Womöglich wird er von der Habilitationskommission aber auch zu einem Artikel befragt werden, den er gestern in der renommierten Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlichte.

Darin formuliert der der 37-Jährige TU-Wien-Forscher nämlich einen neuen Ansatz, der mögliche Antworten auf bisher ungelöste Fragen der Gravitationsphysik gibt. So etwa lässt sich trotz Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie die Bewegungsgeschwindigkeit von Sternen rund um das Galaxienzentrum bis heute nicht zufriedenstellend erklären. Die Physiker "erfanden" deshalb unsichtbare dunkle Materie, um solche Phänomene beschreiben zu können. Experimentell nachgewiesen ist die aber noch nicht.

Um die Schwerkraft bei großen Distanzen zu erklären, schlägt Grumiller eine konstante Kraft vor, die zwischen zwei Objekten unabhängig von ihrer Entfernung wirkt. Der Physiker nennt sie Rindler-Kraft, benannt nach dem aus Wien vertriebenen Gravitationsphysiker Wolfgang Rindler. Und zwar aus rein wissenschaftlichen Gründen.

Kein Widerspruch zu Einstein

Diese Kraft ist so klein, dass man sie im täglichen Leben nicht beobachten kann. Und sie stehe nicht im Widerspruch zur Einsteins Theorien, so Grumiller, "sondern ist eine Erweiterung, die sich in das Gebäude der Relativitätstheorie nahtlos einfügt".

In einem ersten Versuch, die Größe dieser Zusatz-Kraft abzuschätzen, berechnete Grumiller die Rotationsgeschwindigkeit von Sternen rund um das Galaxiezentrum. Bei galaktisch großen Entfernungen, durch welche die klassische Schwerkraft winzig klein wird, spielt die neugefundene Rindler-Kraft eine entscheidende Rolle. Und tatsächlich zeigte sich, dass Grumillers neue Formeln die erstaunlich großen Rotationsgeschwindigkeiten, die man beobachten kann, qualitativ viel besser beschreiben als bisherige Berechnungen. "Das ist ein Hinweis darauf, dass die Rindler-Kraft nicht nur mathematisch erlaubt ist, sondern tatsächlich in der Natur auftritt", so der TU-Physiker.

Ungelöste Pioneer-Anomalie

Grumiller untersuchte aber auch noch ein zweites ungelöstes Rätsel der Gravitationsphysik: Die sogenannte Pioneer-Anomalie. Schon seit Jahren beobachtet man, dass sich Raumsonden wie Pioneer 10 und Pioneer 11, die sich weit von Erde und Sonne entfernen, nicht exakt auf den Bahnen bewegen, die von der Relativitätstheorie vorausgesagt werden. "Auch diese Bahnen kann man beschreiben, wenn man eine kleine, konstante Zusatzkraft annimmt, die Richtung Sonne wirkt", sagt Grumiller, auf den freilich noch einiges an Arbeit wartet.

Denn sein vereinfachtes Modell ist erst noch in voller Allgemeinheit in die vierdimensionale Relativitätstheorie einzubauen. Grumiller erhofft sich davon einerseits ein besseres Verständnis, was die Stärke der Rindler-Kraft bestimmt. Andererseits sollte dadurch auch das Verhältnis zur dunklen Materie geklärt werden. (tasch/DER STANDARD, Printausgabe, 18.11.2010)