Was für eine Liste: Dutzende europäische Gerichte aller Instanzen. Ein knappes Dutzend europäischer Innenminister. Amnesty International, die Caritas, internationale Menschenrechtsinstitutionen, der Uno-Sonderbeauftragte für Folter Manfred Nowak und jetzt sogar der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Alle sind sich einig: Die Regel, dass europaweit der erste Aufnahmestaat eines Asylwerbers für dessen Asylverfahren zuständig sein soll, muss für Griechenland vorläufig aufgehoben werden. Sogar der eigene Menschenrechtsbeirat hat der Innenministerin jüngst dasselbe empfohlen.

Denn Griechenland steht am Rande des Bankrotts. Das Asylsystem, finanziell ausgeblutet wie der gesamte Staat, ist unter der Last von zigtausenden Bewerbern völlig zusammengebrochen. Nach jüngsten Aussagen Nowaks wäre eine Zurückschiebung selbst für junge und kerngesunde Asylwerber nicht zumutbar, weil sie in Griechenland schlichtweg nichts mehr vorfinden: keinen Zugang zu Behörden, kein Verfahren, keine Unterkunft, kein Essen - nichts. Selbst die Gefängnisse sind derart überfüllt, dass Asylwerber menschenwürdig dort nicht mehr untergebracht werden können. Geld für die Behebung dieser Missstände? Woher denn in einem fast bankrotten Staat?

Erdrückende Indizien

Die Indizienlage ist erdrückend und der Schluss daraus schrecklich: Wer derzeit als Flüchtling nach Griechenland abgeschoben wird, läuft Gefahr, dort verprügelt und misshandelt zu werden, krank zu werden oder schlimmstenfalls buchstäblich zu verhungern. Wer derzeit Menschen nach Griechenland abschiebt, nimmt das in Kauf. Das sollte in Europa zwar nicht sein, ist aber ebenso Realität wie die griechischen Budgetzahlen - die es ja eigentlich auch nicht geben dürfte.

Wenn Innenministerin Fekter trotz alledem darauf besteht, sogenannte "Dublin-II-Abschiebungen" nach Griechenland fortzusetzen, wäre das nicht "hart, aber fair", sondern schlicht unvernünftig.

Vergleichbar einem Trucker, der sich in aller Ruhe Warnungen von ÖAMTC, ARBÖ, VCÖ und einem Dutzend sogenannter Ö3ver anhört, die allesamt dringend vor Regen, Schnee und dichtem Nebel auf einer Westautobahn voller Schlaglöcher warnen - und sich dann aufmacht, mit Tempo 130 - Stichwort "Bleifuß" - nach Salzburg zu donnern, schließlich steht Tempo 130 doch im Gesetz, und Recht muss Recht bleiben, oder?

Jeder Fahrschüler weiß es besser: Wer so unterwegs ist, verleugnet die Realität und gefährdet damit Menschen an Leben und Gesundheit.

Kanzler Faymann, in dieser Frage bislang seelenruhig auf Fekters Beifahrersitz, wäre gut beraten, ihr ins Steuer zu greifen. Unsere Innenministerin ist gerade dabei, dutzende Menschen akut zu gefährden und dabei gleich noch die menschenrechtliche Reputation Österreichs mit Karacho an die Wand zu fahren. (DER STANDARD Printausgabe, 18.11.2010)