Taschengeld ist auch eine "philosophische" Frage. Sandra Velásquez rät, wenn man als Eltern Taschengeld zahlen will, bald damit anzufangen: "Im Vorschulalter beginnen Kinder zählen zu lernen, das bietet sich gut an."

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Viele kriegen eines, manche nicht; einige zuviel, andere zu wenig – beim Taschengeld scheiden sich die Geister. Wie man Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld beibringen kann, was dabei alles schief laufen kann und warum Strafen sowieso nichts bringen, erklärt die Psychologin Sandra Velásquez im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Müssen Kinder Taschengeld kriegen, um den Umgang mit Geld zu lernen?

Sandra Velásquez: Ein Kind muss Erfahrungen sammeln. Taschengeld ist ein super Mittel, um Erfahrungen mit dem Geld zu sammeln. Geld ist nämlich nicht nur ausgeben und kaufen, sondern auch warten und wertschätzen können. Es geht auch um die Fragen: Was bin ich bereit, für etwas zu tun und was bedeutet mir eine Sache? Die Eltern haben auch hier eine wesentliche Vorbildfunktion. Schon mit einem vierjährigen Kind kann man über visuelle Hilfen wie Plakate aufzeigen, wie der Weg zu einem bestimmten finanziellen Ziel aussieht, zum Beispiel wie viele Ein-Euro-Münzen nötig sind und wie viele schon da sind.

derStandard.at: Taschengeld ist ja eigentlich nicht an eine Leistung gebunden. Was halten Sie davon, Kinder für bestimmte Tätigkeiten im Haushalt oder im Garten zu bezahlen?

Velásquez: Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht den Kindern transportieren, dass alles, was sie machen, mit Geld bezahlt wird. Aber wenn Kinder zum Beispiel beim Autowaschen helfen – oder generell etwas tun, das nicht zu ihren Aufgaben gehört -, dann kann man durchaus eine kleine Bezahlung vereinbaren. Für den Frühjahrsputz zum Beispiel kann man zahlen. Dafür, dass das Kind sein Zimmer aufräumt, würde ich aber sicher nichts zahlen.

derStandard.at: Welchen Zweck erfüllt Taschengeld in der Geld-Erziehung?

Velásquez: Das Taschengeld ist dazu da, den Aspekt des Sparens und der Verfügbarkeit von Geld zu lernen: Wenn ich heute konsumiere, muss ich morgen warten; wenn ich heute warte, kann ich auch morgen noch konsumieren und je länger ich warte, desto mehr kann ich erreichen. Das müssen Kinder lernen. Eltern sollten mit ihren Kindern klar definieren, was ein Extra ist und was vom Taschengeld bezahlt werden muss. Da steckt auch immer eine philosophische Frage dahinter.

derStandard.at: Ist auch gar kein Taschengeld zu zahlen eine Option?

Velásquez: Nein, das würde ich nicht machen. Wenn Kinder nicht wissen, woher die Sachen kommen und was Dinge wert sind, nehmen wir ihnen eine wesentliche Erfahrung weg, und das ist die Dankbarkeit. Je mehr Überfluss ein Kind hat, desto weniger kommt das Kind dazu, zu genießen. Taschengeld alleine macht die Sache also nicht aus.

derStandard.at: Was braucht es sonst noch?

Velásquez: Kinderkonten finde ich toll, weil es Kindern ermöglicht zu lernen, wie das mit dem Geld und den Konten funktioniert. Kinder glauben ja oft, das Geld kommt einfach aus dem Bankomaten heraus. Man muss ihnen also erklären, wie das System funktioniert. Auch die Verbindung von Geld und Leistung oder Arbeit müssen Eltern erklären. Dass zum Beispiel unterschiedliche Berufe unterschiedlich bezahlt werden, dass schulische Leistungen zu einem besseren Job führen können, und so weiter.

derStandard.at: Ist Transparenz, was die finanziellen Möglichkeiten einer Familie betrifft, entscheidend? Soll man Kindern sagen, "wir können uns das nicht leisten" oder "wir müssen sparen"?

Velásquez: Das soll man auf jeden Fall erklären, aber natürlich in einer kindergerechten Art. Kinder sind nicht dazu da, um mit den Sorgen der Erwachsenen überschüttet zu werden. Aber am Beispiel der aktuellen Krise: Wenn man als Familie finanzielle Probleme hat, ist es für Kinder wichtig, dass sie lernen, was geht und was nicht. Da kann man Kindern auch beibringen, wie schön es sein kann, auf etwas zu sparen. Wenn man es sich zum Beispiel gerade nicht leisten kann, mit seinen drei Kindern in den Prater zu gehen, könnte man ein Sparschwein aufstellen und zusammen auf den Ausflug dorthin sparen. Kinder lernen damit auch das Warten können. Viele haben das mittlerweile verlernt.

derStandard.at: Woher kommt das?

Velásquez: Es ist eine Frage, wie viel Zeit für Kinder da ist. Wenn Eltern das Gefühl haben, sie verbringen zu wenig Zeit mit ihren Kindern, oder dass es erzieherische Probleme gibt, ist es die einfachste Variante, das mit Geld zu kompensieren. Das schießt am Ziel vorbei. Geld ist ein Mittel, um etwas zu bekommen. Kinder müssen verstehen, dass Geld einen Ursprung hat, und der ist Arbeit. Dass Arbeit auch im besten Fall etwas mit den Vorlieben eines Menschen zu tun hat. Dass jeder Verdienst eine Grenze hat. Man kann Kindern anhand von Spielzeuggeld zeigen, wie viel da ist, wie viel Miete, Nahrung, usw. kosten, und was am Ende übrig bleibt für die Extras. Ein Kind soll verstehen, dass Geld etwas ist, das man verteilen kann, und ab und zu auch auf etwas warten muss. Das ist ein sehr komplexer kognitiver und auch emotionaler Vorgang. Wenn wir Kindern beibringen, gut mit Geld umzugehen, geben wir ihnen wichtige Erfahrungen in Dankbarkeit, in Selbstkontrolle, in vorausschauendem Denken mit.

derStandard.at: Ist eine gescheite Geld-Erziehung dann auch ein Garant dafür, dass Kinder als Erwachsene gut mit Geld umgehen können?

Velásquez: Im menschlichen Verhalten gibt es keine 1:1-Rechnungen. Bei emotionaler Bedürftigkeit kann Geld auch als schnelle Befriedigung für andere Probleme hergenommen werden. Das macht es so verführerisch. Menschen suchen nach schneller Erleichterung, deswegen hat Geld auch dieses Suchtpotenzial. Es kann sein, dass Eltern sehr vernünftig mit Geld umgehen. Das Kind hat aber das Gefühl, zu wenig geliebt zu werden, und kompensiert das durch inflationäres Kaufverhalten.

derStandard.at: Ab wann soll man mit Taschengeld anfangen?

Velásquez: So früh wie möglich. Ich würde sagen, mit fünf, sechs Jahren bzw. mit dem Eintritt in die Schule kann man mit regelmäßigem Taschengeld anfangen. Im Vorschulalter beginnen Kinder zählen zu lernen, das bietet sich gut an. Dabei kann man bei einem fünfjährigen Kind wöchentlich mit ein, zwei Euro beginnen. Kleinere Kinder haben noch wenig Gefühl für einen längeren Zeithorizont, erst ab zehn Jahren ungefähr kann man auch auf eine monatliche Zahlung umsteigen.

derStandard.at: Sollte auch Bestrafung über das Taschengeld funktionieren, nach dem Motto "Du warst böse, deswegen kriegst du dieses Monat kein Taschengeld"?

Velásquez: Nein, niemals. Taschengeld ist etwas, das Kindern zusteht, wenn Eltern es einmal mit ihnen vereinbart haben. Strafen wirken ohnehin nicht. Wenn ein Kind ein Prinzip bricht, soll es Folgen geben. Beschädigt ein Kind mutwillig etwas, dann kann das über Geld funktionieren. Zum Beispiel über Ratenvereinbarungen, bis der Schaden bezahlt ist. Wenn man nämlich das gesamte Taschengeld streicht, dann resigniert das Kind vollends. Das Taschengeld sollte fix sein und unantastbar.

derStandard.at: Wie kann man mit Kindern eine Art "Budgetplanung" machen, wenn sie zum Beispiel auf etwas hin sparen?

Velásquez: Das kann man mit Magnettafeln oder mit Klebepunkten oder Ähnlichem machen. Am Schluss soll das Ergebnis sichtbar sein, und auch der Weg zum Ziel. Ist dieser visuell sichtbar, bekommen Kinder auch den Eifer, darauf hin zu sparen. Bei größeren Beträgen sollten auch die Eltern helfen, weil Kinder nicht so einen langen Atem haben. Das kommt erst mit der Zeit. Netbanking ist für ältere Kinder eine gute Möglichkeit, weil es eine Übersicht über das Geld-Verhalten bietet. Was man als Eltern auf jeden Fall vermeiden sollte, sind Kredite, vor allem größere Beträge. Wenn das Geld verbraucht wurde, dann ist es weg, und das Kind muss bis zur nächsten Zahlung warten.

derStandard.at: Was halten Sie von "Familienzinsen", also wenn Eltern ihre Kinder mit einem Bonus dafür belohnen, dass sie einen gewissen Betrag zusammensparen?

Velásquez: Das finde ich durchaus okay, aber man muss aufpassen. Ich glaube, dass es die bessere Variante ist, Beträge für ein bestimmtes Ziel zu ergänzen, wenn sich das Kind sehr bemüht hat. Der Bonus läuft ein bisschen an der Realität vorbei, schließlich kriegt man auch sonst nichts geschenkt, wenn man etwas spart.

derStandard.at: Wie lange sollte die Mama-und-Papa-Bank überhaupt offen haben, also wie lange sollten Eltern ihre Kinder finanziell tragen?

Velásquez: Als Faustregel würde ich sagen: Solange das Kind zu Hause wohnt. Ist es 18 und beginnt zu studieren, steht dem Kind sowieso die Familienbeihilfe zu, aber sonst sollten sie durchaus auf eigenen Beinen stehen. Wenn ein junger Mensch arbeiten geht, ist er auch auf sich selbst gestellt. Ich kenne viele Familien, wo die Kinder nichts machen, die Schule abgebrochen haben und nicht arbeiten. Da sage ich den Eltern immer: Sie sollen dem Kind zeigen, wie sein Lebensniveau aussehen wird, wenn es so weiter macht. Das heißt, es bekommt Essen und Wohnung, aber sonst nicht mehr viel. (Daniela Rom, derStandard.at, 22.11.2010)