Stern Regulus im Sternbild Löwe überstrahlt die Zwerggalaxie Leo I.

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Simulation von Einheiten Dunkler Materie um das Hauptpotential der massereicheren Milchstraße mit einer Ausdehnung von 200 Kiloparsec (enspricht dem sechsfachen Durchmesser der Milchstraße).

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Ein österreichisch-deutsches Forschungsprojekt hat sogenannte Gezeiten-Zwerggalaxien näher unter die Lupe genommen. Gezeiten-Zwerggalaxien sind in jenen großen Materieauswürfen zu finden, die beim Verschmelzen zweier Galaxien entstehen.

Die Beobachtung, die Gerhard Hensler vom Institut für Astronomie der Universität Wien und sein Kollege Pavel Kroupa von der Universität Bonn an diesen Gezeitenzwerge gemacht haben, offenbarten unüberwindbare Diskrepanzen zu einer Theorie, die in der Astronomie fast schon als Dogma gilt: In ihrer aktuellen Publikation im Journal Astronomy and Astrophysics stellen sie die Existenz der Dunklen Materie infrage.

"Die Mehrzahl der AstronomInnen ist davon überzeugt, dass sich 'das Universum und der ganze Rest' nur mit der Existenz von Cold Dark Matter (CDM) erklären lässt - das ist Materie, die nicht direkt beobachtbar ist, aber die Masse im Universum bei weitem dominiert und gravitativ mit sichtbarer Materie wechselwirkt, ohne sich wie diese zu verhalten", sagt Hensler. Seit den 1970er-Jahren wird erfolglos nach den unsichtbaren Teilchen geforscht.

"Die Idee der Dunklen Materie hat sich derart festgesetzt, dass viele keine Kritik daran akzeptieren", so Hensler, der diese Haltung teilweise nachvollzieht: "Auf großen Skalen funktioniert die Theorie wunderbar. Es gibt zurzeit keine bessere Erklärung für bestimmte Phänomene, die wir zwar beobachten, aber nicht allein mit der Masse der sichtbaren Materie erklären können." Dazu gehört etwa, dass Galaxien so schnell rotieren, dass die Sterne darin nicht den Gesetzen der Fliehkraft entsprechen. Kalte Dunkle Materie hält angeblich dank ihrer Masseanziehung die Galaxien zusammen.

Vorhersagen und Realität unvereinbar

Das CDM-Szenario gerät allerdings ins Wanken, sobald man sich auf kleine Skalen begibt. Hensler und Kroupa untersuchen Satellitengalaxien, die um unsere Milchstraße kreisen: "Hier passen die Vorhersagen vorne und hinten nicht mit den Beobachtungsdaten überein." In einer aktuellen Publikation im Journal Astronomy und Astrophysics präsentieren sie mit Kollegen aus Deutschland, Frankreich und Australien fünf Widersprüche, die das Dunkle-Materie-Modell vor massive Probleme stellen. Die Ergebnisse basieren auf Beobachtungsdaten von rund 50 Satellitengalaxien der Milchstraße und des Andromeda-Nebels.

Einer dieser Widersprüche ist die Diskrepanz zwischen den errechneten und den beobachteten Masse-Leuchtkraft-Verhältnissen in Satellitengalaxien: Nach dem CDM-Szenario sollten sie umso heller leuchten, je mehr Dunkle Materie sie enthalten, da Dunkle Materie sichtbare Materie anzieht. "Die Ergebnisse unserer Parameterstudie weichen jedoch eindeutig von den Vorhersagen der Simulationen ab", erläutert Hensler.

Weiters sollten dem Modell zufolge mindestens 1.000 Satellitengalaxien um unsere Milchstraße und den Andromeda-Nebel kreisen. "Tatsächlich sehen wir aber nur 25, und die sind nicht zufällig verteilt wie die Theorie vorhersagt, sondern bilden eine Art Scheibe." Deshalb bevorzugen die beiden Wissenschafter die These, dass diese Zwerggalaxien als Gezeitengalaxien entstanden sind.

Anpassung der Newtonschen Gravitationstheorie?

Auch weitere Beobachtungen, etwa Schwankungen in der Rotationkurve von Galaxien, können mit dem CDM-Modell nicht erklärt werden "Wir müssen anfangen, Alternativen ernsthaft in Erwägung zu ziehen", so Hensler. Dazu zählt die Anpassung der Newtonschen Gravitationstheorie - wie es die VertreterInnen der Modifizierten Newtonschen Dynamik (MOND-Theorie) versuchen. "Vermutlich liegt die Ursache sogar noch tiefer in den Grundfesten unserer Physik", so Hensler. (red)