Der Drittangeklagte Turpal-Ali Y. (vorn) war am 13. Jänner 2009 am Tatort. Er will aber nur Schüsse gehört - und von der Ermordung Umar Israilows sonst nichts mitbekommen haben.

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Der Drittangeklagte Turpal-Ali Y. war in der Leopoldauer Straße, als der Tschetschene Umar Israilow erschossen wurde. Er sagt, ein Bekannter habe ihn gebeten, dorthin zu kommen – und er habe nicht gefragt, warum.

Wien – "Tschetschenien ist ein kleines Land – da hilft man einander." Auch der Drittangeklagte im Israilow-Prozess will nichts gewusst, nichts gehört und nicht nachgefragt haben. Er sei von einem Freund gebeten worden, am 13. Jänner 2009 nach Wien-Floridsdorf zu kommen, berichtet Turpal-Ali Y. am Donnerstag bei seiner Einvernahme im Wiener Straflandesgericht. Er habe aber bei seinem Bekannten nicht nachgefragt, was er dort eigentlich solle: "Er hat mich gebeten, und ich bin gekommen. Ich wäre auch zu seiner Hochzeit gefahren."

Doch es war keine Hochzeit, zu der sie kamen – sondern die geplante Entführung beziehungsweise Ermordung des Tschetschenen Umar Israilow. Israilow – der gegen Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage wegen Menschenrechtsverletzungen eingebracht hatte – und in Wien auf offener Straße erschossen wurde.

Sein Bekannter Suleyman D. (der Zweitangeklagte) habe ihm nur gesagt, es werde "ein Mann kommen", behauptet Turpal-Ali Y. Er habe sein Auto in der Leopoldauer Straße geparkt, habe gewartet, versucht Zigaretten zu kaufen, eine Bank gesucht. Gegen Mittag habe dann sein Bruder angerufen und gesagt, er brauche seine Hilfe in der Autowerkstatt.

Daher sei er ausgestiegen und habe Suleyman D. und Letscha B., der ihn begleitete, gesucht – um zu sagen, dass er wegmüsse. Da habe er Schüsse gehört. Dann habe er Letscha B. rennen gesehen und sei ihm nachgelaufen. Zu dritt seien sie dann im Auto davongefahren.

Doch vieles kann Turpal-Ali Y. nicht erklären. Staatsanwalt Leopold Bien will wissen, warum ihn Suleyman D. genau um 11.53 angerufen habe – exakt jener Moment, als Umar Israilow das Haus in der Leopoldauer Straße verließ. Das wisse er nicht mehr, sagt der Angeklagte.

Warum wollte er überhaupt zu den beiden gehen, und warum habe er Suleyman D. nicht einfach telefonisch gesagt, dass er zu seinem Bruder müsse? "Ich hatte seine Nummer nicht", sagt Turpal-Ali Y. Es hätten ja so viele angerufen. Richter Friedrich Forsthuber weist anhand der Telefondaten nach, dass ihn aber an diesem Vormittag nur zwei Personen angerufen hätten: sein Bruder und Suleyman D.

Die Befragung der Beschuldigten muss Donnerstagmittag unterbrochen werden: Denn der ausgesprochen straffe Zeitplan der Verhandlung gerät mehr und mehr ins Hintertreffen. Da zu Mittag bereits erste Zeugen geladen sind, die den Anschlag in Floridsdorf beobachtet haben, wird deren Befragung vorgezogen. Obwohl der Zweitangeklagte bis dahin – abgesehen von einem Eingangsstatement – noch nicht zu Wort gekommen ist. (Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Printausgabe, 19. November 2010)