Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Imperium zurückschlagen würde: das innenpolitische Imperium, das Ungarns Regierungschef Viktor Orbán im Begriff ist zu errichten, gegen prominente Kritiker wie Paul Lendvai. Mit seinem neuen Buch "Mein verspieltes Land" hat Lendvai so etwas wie Majestätsbeleidigung begangen. Das tut man nicht ungestraft gegenüber einem Mann, der schon in seiner ersten Zeit als Premier eine schwarze Liste angeblich ungarnfeindlicher Journalisten zirkulieren ließ.

Ungarnfeindlich ist, wer Orbán-kritisch ist. Das ist die einfache und offenbar noch immer erfolgversprechende Formel der neuen Machthaber in Budapest. Die Vorwürfe gegen Lendvai wegen angeblicher Kollaboration mit dem einstigen kommunistischen Geheimdienst sind nicht neu. Lendvai hat sie glaubhaft widerlegt. Aber wenn einer der angesehensten Publizisten Mitteleuropas mit Ungarns politischer Kaste - keineswegs nur mit dem Orbán-Lager - abrechnet, muss etwas gegen ihn unternommen werden.

Der Fall gibt - zusammen mit den "ordnenden" Eingriffen bei den Medien und der Kompetenzbeschneidung für den Verfassungsgerichtshof - einen Vorgeschmack darauf, wohin die Reise in Orbáns Imperium gegen soll. Es ist eine besonders bittere Ironie der Geschichte, dass dieser Politiker, der sich um den Aufbau der ungarischen Demokratie nach dem Ende des Kommunismus so verdient gemacht hat, diese nun offenbar systematisch aushöhlt. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2010)