Noch ist die Hälfte der gestreckten Legislaturperiode nicht um, und schon soll die ÖVP drittstärkste Partei sein. Das ist für sie keine neue Erfahrung. Welche Konsequenzen Josef Pröll in den nächsten Wochen daraus ziehen wird, wenn er kann, wird aufmerksam zu beobachten sein. Eines steht dabei fest - weiterwursteln wie bisher wird nicht nur die Volkspartei, sondern einen Regierungspartner mit in den Abgrund reißen, den von einer wachsenden Strache-Truppe auch nur noch triumphale zwei Prozent trennen. Man muss sich dem Gedanken stellen, auch wenn einem dabei übel wird: Diese Koalition ist dabei, die Republik an eine halbzivilisierte Vorfeldorganisation unbelehrbarer Rechtsextremisten auszuliefern.

Die SPÖ hat nicht den geringsten Grund, sich angesichts der prekären Situation des ÖVP-Chefs die Hände zu reiben. Dass er sich in der Anfangsphase dieser Regierung über seine tatsäch-lichen Möglichkeiten hinaus übernommen hat, fällt letztlich auch ihr auf den Kopf. Den hat sie hingehalten, als sich die ÖVP bei der Regierungsbildung überfraß. Finanzministerium, Innen-, Außen und Justizministerium mussten es sein, ohne dass dafür in jedem Fall geeignete Kandidaten zur Verfügung standen. Eine pompöse Rede zur Lage der Nation musste es sein, in der der Vizekanzler versuchte, gleichzeitig in die Hosen des Bundeskanzlers und in die eines Papstes im Konklave für die Staatsreform zu schlüpfen. Als es dann ernst wurde mit der Umsetzung, war alles verflogen.

Aus dem versprochenen Dreijahresbudget, im Vorverkauf als größtes Sparpaket seit 1945 angepriesen, wird - noch nie dagewesen! - verspätet und unter Bruch der Verfassung ein Einjahresbudget, das für sich beanspruchen kann, eine so breite Front der nationalen Ablehnung geweckt zu haben wie keines zuvor. Ein Geniestreich, wenn man berücksichtigt, was die raffinierte Terminverzögerung beiden Parteien in Wien und der Steiermark gebracht hat.

Nun befinden wir uns in der Phase, in der Schuldige gesucht und gute Ratschläge gespendet werden. Für Ersteres ist naturgemäß ein Generalsekretär zuständig, und für ihn ist - Überraschung! - der Bundeskanzler schuld. Der ducke sich beim Budget weg, steckte er dem Kurier. Wäre das Budget der versprochene Erfolg geworden, hätte er Faymann sicher empfohlen, sich nicht mit fremden Federn zu schmücken. Koalition auf dieser Ebene ist albern und kontraproduktiv. Muss die ÖVP auch derzeit ernten, was Pröll gesät hat, gibt es vor dem Publikum so etwas wie eine Gesamtverantwortung für ein Paket, das gemeinsam verhandelt wurde und beschlossen werden wird.

Was immer dabei noch abzuwenden ist, und an Ratschlägen dazu ist kein Mangel, wird fürs Erste nichts daran ändern, dass die Koalition der FPÖ so lange Wähler zutreibt, solange sie die Kluft zwischen dem Versprechen großer Reformen und der düsteren Realität wenn schon nicht schließen, so wenigstens glaubhaft und sozial verträglich verkleinern kann. In diesem Versprechen liegt die Begründung für ihre Existenz. Noch gilt es, aber es bedürfte schon eines koalitionären Neustarts, um Extremisten das Mundwerk zu legen. (Günter Traxler, DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2010)