Das im jüdischen und muslimischen Glauben vorgesehene Schächt-Ritual spießt sich mit dem gängigen Tierschutzrecht. Österreich versucht sich in einer Kompromisslösung, die Religionsfreiheit gewährleisten soll.

Wien – Als ihr der Manager aus Pakistan auf dem Weg zur Wohnungsbesichtigung die Frage stellte, wo er denn in Wien Lebendvieh erstehen könne, staunte Martine Pey nicht schlecht. "Auf dem Bauernhof, nehm ich an?", war ihre zaghafte Antwort. Noch größer wurde ihr Staunen allerdings, als er nachlegte: Spreche irgendetwas dagegen, ein Schaf oder eine Ziege zu Hause im Bad zu schlachten?

Martine Pey arbeitet für Recom Relocation, einem Unternehmen, das für Firmen und Konzerne in Österreich die Umzüge ihrer internationalen Angestellten organisiert. Die Betreuung reicht von der Auswahl passender Schulen, dem richtigen Sportklub – bis zur Beratung in Fragen der praktischen Religionsausübung.

Im Islam gilt, ähnlich wie im Judentum, Blut als rituell unrein. Daher achten Muslime beim Schlachten von Tieren darauf, dass diese vollständig ausbluten. Das traditionelle Schächten sieht vor, dem lebenden Tier die Halsschlagader, Luft- und Speiseröhre mit einem schnellen Schnitt zu durchtrennen, sodass durch den noch aktiven Blutkreislauf das Tier möglichst rasch ausblutet. So weit kein großer Unterschied zu einer herkömmlichen Schlachtung, die ebenfalls durch Entbluten passiert. In der strengen Auslegung beider Religionen, im Islam wie auch im Judentum, wird allerdings auf die vorherige Betäubung verzichtet. Und das widerspricht der europäischen Vorstellung von Tierschutz.

Da die Nachfrage nach Halal- (islamische Bezeichnung) beziehungsweise koscherem Fleisch (im jüdischen) durch ihre Kunden zunahm, musste sich Frau Pey erstmal selbst schlaumachen. Sie konnte dem Manager zwar beantworten, dass er auf gar keinen Fall ein Tier in seinen eigenen vier Wänden töten dürfe, eine Erklärung konnte sie damals nicht mitliefern. Nach Lektüre von Gesetzestexten, Gesprächen mit Botschaften, der Veterinärmedizinischen Fakultät und dem Verfassungsschutz hat sie jetzt ausführlichere Antworten parat – und auch eine ganze Liste mit Geschäften, wo die internationalen Gäste die Speisen ihrer Religion entsprechend kaufen können. Nun übergibt sie ihnen die Adressen von Restaurants und Märkten, die das rituell geschächtete Fleisch anbieten, darunter auch Geschäfte am Naschmarkt.

Dort beantwortet der erste Fleischhauer, ein Wiener, die Frage nach Halal-Fleisch mit einem "Na, Gott sei Dank nicht". Bei den Türken weiter oben würde es das geben. Doch auch die türkischen Fleischhändler verneinen die Frage nach dem blutleeren Kotelett. Vielleicht bei den Arabern?

"Halal" von Kalb bis Huhn

"Ja ja, haben wir alles", freut sich Ebrahim Raslan. In diesen Tagen macht er mehr Geschäft als an anderen Tagen: Vom 16. bis 19. November findet in diesem Jahr das islamische Opferfest "Eid l-Adha" statt, zu dem gläubige Muslime ein Tier opfern sollen. Alles könne er "halal" anbieten, vom Kalb bis zum Huhn. Er nimmt die Schächtungen jede Woche persönlich vor, im Beisein eines Amtstierarztes – so ist es vorgeschrieben. Obwohl viele Islamgelehrte die Ansicht vertreten, dass die vorherige Betäubung mit den Speisevorschriften vereinbar ist, vollzieht der Metzger die Schlachtung traditionell: ohne Betäubung. "Das Wichtigste ist, dass das Tier keine Schmerzen spürt. Es muss sehr schnell gehen." 70 Prozent seiner Kunden, die geschächtetes Fleisch vorziehen, seien übrigens Österreicher. Gesünder sei es. Und haltbarer.

Ungeachtet dieser möglichen Vorteile bleibt das Ritual umstritten: Gegner des Schächtens argumentieren, dass die Bewusstlosigkeit des Tieres nicht sofort eintritt. Ein qualvoller, zum Teil mehrminütiger Todeskampf sei die Folge. Ein betäubtes Tier würde außerdem in gleicher Weise ausbluten wie ein nicht betäubtes.

In Österreich untersagt das Tierschutzgesetz das Schlachten von Wirbeltieren ohne vorherige Betäubung. Aus religiösen Gründen können jedoch Sondergenehmigungen erteilt werden. Basis dafür ist eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) aus dem Jahr 1998, die einen Kompromiss zwischen dem Grundrecht der Religionsausübungsfreiheit und dem Tierschutz sucht. 26 Schafe wurden auf einem Hof in Feldkirch ohne Betäubung geschlachtet. Der Hofbesitzer, der die Tiere zuvor türkischen Staatsbürgern verkauft hatte, wurde wegen Beihilfe zur Tierquälerei angeklagt. Im Nachhinein entschied der VfGH, dem Tierschutz komme – vor dem Hintergrund der in den Grundrechten zum Ausdruck gebrachten Werteskala – kein durchschlagendes Gewicht gegenüber dem Recht auf freie Religionsausübung zu. Anas Shakfeh, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, bezog sich 2004 in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Israelitischen Kultusgemeinde auf das Urteil: Schächten nur unter Betäubung käme einem Schächtverbot gleich.

"Gibt es zwingende religiöse Gebote, so kann die Betäubung unmittelbar nach dem Schnitt erfolgen, in den nächsten Sekunden", erklärt Hermann Gsandtner, Wiener Ombudsmann für Tierschutz. Das Verfahren nennt sich "Post-Cut Stunning". Eine Schächtung darf nur durch Personen mit notwendigen Kenntnissen vorgenommen werden, deren Ausbildung praktische wie geistige Aspekte umfasst. Den Mythos von den "Hinterhofschlachtungen" kann Gsandtner nicht bestätigen: Zwei bis drei Fälle habe er in fünf Jahren erlebt. (Julia Herrnböck/DER STANDARD, Printausgabe, 19. November 2010)