Wenn es einen roten Knopf bei dem geplanten Raketenschild der Nato gibt, dann möchte Tayyip Erdogan derjenige sein, der ihn drückt. Oder eben nicht. Eine der Bedingungen, die der türkische Regierungschef der Allianz stellt, ist die Kontrolle über jene Teile des Abwehrsystems, die in seinem Land aufgestellt werden sollen. "Andernfalls ist es unmöglich, so ein Ding zu akzeptieren", zitierten türkische Medien den Premier diese Woche.

Erdogan selbst wird heute nicht beim Gipfel in Lissabon dabei sein, an seiner Stelle kommen Staatspräsident Abdullah Gül, Außenminister Ahmet Davutoglu und Verteidigungsminister Vecdi Gönül. Doch ihr Unbehagen an den Raketenplänen hat die türkische Führung in den vergangenen Wochen deutlich kommuniziert. Beim G-20-Gipfel in Seoul sprach Erdogan zuletzt auch US-Präsident Barack Obama auf die "türkischen Empfindlichkeiten" an. In einem Punkt hat die Allianz schon nachgegeben: Kein Land wird namentlich als Grund für den Raketenschild genannt werden.

Damit trägt die Nato der außenpolitischen Linie der konservativ-muslimischen Regierung in Ankara Rechnung, die "null Probleme mit den Nachbarn" zur Prämisse erhoben hatte. Kritiker im Land merkten allerdings an, der Verzicht auf die Namensnennung sei eine Farce; jeder wüsste schließlich, dass der Raketenschirm vor allem wegen der Bedrohung durch den Iran errichtet würde.

Ankara hatte in den vergangenen Jahren seine Beziehungen zum Iran und zu Syrien erheblich ausgebaut. Ungeachtet der UN-Resolutionen floriert etwa der Handel mit dem Iran - zwischen Jänner und September stiegen die türkischen Importe im Vergleich zum Vorjahr um 131 Prozent auf 5,3 Milliarden Dollar; der größte Teil sind Gaslieferungen.

Keine Daten für Israel

Für ihr Ja zum Raketenschirm wird die Türkei Patriot-Abfangraketen erhalten, wobei die Kostenfrage noch ungeklärt ist. Ankara will auch die Zusicherung, dass Daten des künftigen Radarsystems in der Türkei nicht mit Israel geteilt würden. Davutoglu betonte zuletzt beim Nato-Außenministertreffen im Vormonat das Selbstbewusstsein seines Landes, das seit 1952 der Allianz angehört und keine Bevormundungen mehr duldet: "Wir sind nicht Partner, wir sind Miteigentümer der Nato." (Markus Bernath aus Istanbul, STANDARD-Printausgabe, 19.11.2010)