"Ich habe eine aktuelle Abrechnung meines Verlages Jung und Jung über den Gedichtband 'Ein Messer aus Odessa'. Da habe ich 308 Euro 63 Cent verdient": Erwin Einzinger.

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Auszüge aus zwei Abenden der Veranstaltungsreihe "Doppelte Buchführung", die am 22. November, 19 Uhr, mit Thomas Stangl und Inka Parei in der Alten Schmiede fortgesetzt wird.

Lange war es still um Erwin Einzinger, den Lyriker, Übersetzer und Romanautor, der bereits in den 90er-Jahren aus der Österreichischen Literaturgeschichte kaum mehr wegzudenken war. Doch dass man sich bei einem Autor nicht täuschen soll, der bereits 1983 einen Erzählband mit "Das Erschrecken über die Stille, in der die Wirklichkeit weitermachte" betitelte, zeigte 2005 nicht nur der große Roman "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik", sondern auch die beiden seither erschienenen Gedichtbände ("Hunde am Fenster", 2008, "Ein Messer aus Odessa", 2009) sowie der heuer veröffentlichte Roman "Von Dschalalabad nach Bad Schallerbach".

Martin Prinz: Wie sehen bei Ihnen die Buchführungen von Arbeit und Leben aus?

Erwin Einzinger: Ich sollte vielleicht vorausschicken, dass ich mich als Schriftsteller in der privilegierten Situation befinde, die literarischen Einkünfte nicht zum direkten Überleben zu brauchen, weil ich 28 Jahre im Schuldienst abgedient habe und durch eine glückliche Wendung vor sieben Jahren in Pension gehen konnte. Es war gerade der Beginn eines Schuljahres, als ich damals von dieser Möglichkeit erfuhr. Ich glaube, es waren die Schularbeitenpläne für das laufende Semester schon in Planung, als mir mein älterer Bruder, der als Lehrer in Salzburg viele Jahre in der Personalvertretung seines Bundeslandes war und sich gesetzlich sehr gut ausgekannt hat, mir durch meine Frau, die auf der Durchfahrt zu ihren Eltern im Pinzgau war, ausrichten hatte lassen: "Es gibt da eine Gesetzeslücke, und theoretisch könnte der Erwin in wenigen Monaten den Schuldienst schmeißen."

Das sei aber, sagte er ebenfalls zu meiner Frau, natürlich nur ein Luftschloss, denn es wäre das Blödeste, was ich machen kann, auf die ganze Pension zu verzichten. Ich habe trotzdem durchgerechnet, wie viel Geld uns bliebe. Immerhin hatten wir am Haus noch Schulden, für die das Lehrerinnengehalt meiner Frau als Abdeckung dienen müsste, die über die Jahre natürlich wusste, wie wenig durch das Schreiben reinkommt. Wir riskierten es. Und jetzt bin ich seit sieben Jahren aus der Branche des Deutsch- und Englischlehrers an einer AHS in Oberösterreich ausgestiegen, bekomme als Pension 1.100 Euro im Monat für diese 28 Dienstjahre.

Prinz: So viel wie das Staatsstipendium, sozusagen.

Einzinger: Nur bekommt man das natürlich nicht regelmäßig, wie ich meine Pension. Und die literarischen Einkünfte selbst sind, vor allem, wenn es sich um Lyrik handelt, oft lachhaft. Ich habe eine aktuelle Abrechnung meines Verlages Jung und Jung über den Gedichtband "Ein Messer aus Odessa". Da habe ich 308 Euro 63 Cent verdient (lachend): 201 verkaufte Bücher. Freie Exemplare: 44. Belegexemplare: 63 - für die kriegt man nichts, glaube ich. Makulatur: 1 (lachend). Also mit 308 Euro 63 Cent springt man nicht sehr weit. Aber ich habe da noch etwas: Der Österreichische Rundfunk, Literatur, Hörspiel und Feature, hat mir 253 Euro 26 Cent für die Sendung "Nachtbilder" überwiesen. Da haben sie aus "Ein Messer aus Odessa" vorgelesen. Doch das war spät in der Nacht, ich habe es nicht gehört. Und dann habe ich 30 Euro von der "Presse" gekriegt, neulich. Die haben ein Gedicht von mir irgendwo aufgegriffen und abgedruckt - ein ganz ein kleines.

Prinz: War für die Entscheidung, in Pension zu gehen, dennoch pro Jahr eine gewisse Summe an literarischen Einnahmen notwendig?

Einzinger: Nein, auf Einkünfte durch die Literatur haben wir uns nicht verlassen können, aber wir haben gehofft, dass ich durch das Daheimsein mehr zum Schreiben komme und dadurch vielleicht auch mehr Lesungen habe. Und - es ist auch so, es ist tatsächlich so: 2008 habe ich einen Gedichtband veröffentlicht, 2009 ebenfalls, und jetzt, 2010, einen Roman fertig. Das hat es überhaupt noch nicht gegeben, dass ich in drei Jahren hintereinander etwas publiziert habe. Ich kann sagen, ich jubiliere nur, jedes Mal, wenn mich wer fragt, wie es mir geht, und ich erzähle immer wieder die ganze Geschichte, weil ich es als solch ein Glück empfinde, dass ich die Vormittage für mich habe; fürs Lesen, fürs Schreiben. Denn ohne dass ich das jetzt verklären will - aber es ist mir fast unfassbar, wie ich das all die Jahre neben der schulischen Arbeit hingekriegt habe. Jetzt kann ich mich jeden Tag dazusetzen, kann lesen und weitermachen. Ich hab sogar Angst, zu viel zu schreiben ... Denn ich hätte schon wieder neue Gedichte.

Prinz: Wenn Sie zurückschauen, taucht manchmal die Frage auf, ob Sie schon früher versuchen hätten sollen, vom Schreiben zu leben?

Einzinger: Es war einfach nicht drinnen. - Wir haben uns im Jahr '82 oder '83, als mein erstes Buch beim Residenz Verlag erschien, zu einem Hauskauf entschieden, über den ich nicht zuletzt, da er meinem Schreiben dient, immer sehr glücklich war. Aber dieser Hauskauf hat uns damals so verschuldet, dass mir mein jüngerer Bruder (nicht der Lehrer in der Personalvertretung, sondern ein Bankbeamter in meinem Heimatort) gesagt hat, er würde sich über die Kredite nicht drübertrauen, die wir da zurückzahlen müssen.

Davor hatten wir in Kirchdorf in einer Gegend gewohnt, wo ich schon beim Frühstück die Massen von Schulkindern vorbeigehen gesehen habe. Als wir das Haus in dem abgelegenen Seitental von Micheldorf fanden, war die Rechnung klar: Ich gehe in die Schule. Natürlich habe ich gehofft, dass es irgendeine Lösung gibt, zwei oder drei Jahre früher auszusteigen. Dass ich aber schon mit 50 aufhören konnte, war ein Glücksfall.

Prinz: Wie aber ist es dazu gekommen, dass ab Mitte der Neunziger von Ihnen zehn Jahre lang nichts erschienen ist? Hatte das mit den Übersetzungen zu tun?

Einzinger: Nein, nein. Die Übersetzungen haben mich nicht im eigenen Schreiben behindert. Im Gegenteil: Als ich Robert Creeley übersetzte, erklärte er mir einmal seine Form des Tagebuchschreibens in genau abgegrenzten Textblöcken. Etwa in der Zeit, es muss im Jahr 1993 gewesen sein, hatte ich ein Stipendium in Rom. Eigentlich arbeitete ich dort an einem Buch, das dann '95 erschienen ist, Das wilde Brot. Zugleich aber hatte ich mit der Keimzelle des zehn Jahre später erschienenen Buches "Aus der Geschichte der Unterhaltungsmusik" begonnen. Ich fand ein Mathematik-Hausübungsheft einer römischen Schülerin auf der Straße.

Es war keine Adresse drinnen, somit habe ich gewusst, das kann ich nicht mehr zurückgeben. Ich habe es umgedreht und zuerst als Fahrtenbuch für meine Busreisen in der Gegend von Rom genommen. Bis ich mir vornahm, was Creeley für sein Tagebuchprojekt als Regel benutzt hatte: Ich werde ab nun immer genau eine Seite vollschreiben - ohne irgendein Thema oder irgendein Ziel. Das habe ich, halb aus Verzweiflung, weil mir nichts anderes einfiel, halb aus Spaß, ungefähr vier, fünf Jahre ins Blinde hinein verfolgt: hunderte von Texten, die überhaupt nichts miteinander zu tun zu haben schienen. Bis mir irgendwann auffiel, dass immer häufiger Exkurse in die Welt der Musik auftauchen. Worauf ich dachte, das wäre eine Möglichkeit, einen Faden zu finden, und die anderen Texte rauswarf.

Unterdessen war der Residenz Verlag aber in die Krise gekommen, und mein Verleger wurde gefeuert. Es hieß, er mache ein zu exklusives Wolkenkuckucksheim-Programm. Bücher, wie etwa ich sie schreibe. Daraufhin wollte auch ich weg von Residenz, hatte aber nicht kapiert, dass Jochen Jung ohnedies einen neuen Verlag gründen wollte. Und so handelte ich mir, bis Karl-Markus Gauß mich anschrieb, der bereits gehört hatte, ich hätte ein über Jahre entstandenes Manuskript fertig, an die zehn Absagebriefe von deutschen und Schweizer Verlagen ein. Er wollte es lesen und war so begeistert, dass er sagte, er wird notfalls einen Club gründen, damit das erscheint ... Davor aber war ich eigentlich bereits so weit, dass ich mir gedacht habe, das kann ich in die Schublade legen oder was weiß ich, wohin. Ich weiß noch, dem Beck Verlag habe ich, auf deren Anraten, das Manuskript zu kürzen, zurückgeschrieben: Ja, was soll ich denn kürzen? Ich habe eher noch sehr viel mehr!
(DER STANDARD, Printausgabe, 20./21. 11. 2010)