Die Politik hat in der Ordnung des Medienmarkts komplett versagt. Sie versucht sich damit zu exkulpieren, dass es ohnehin den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gebe. Und sie rächt sich am ORF für das, was sie von und mit den Printmedien erduldet.

Seit Jahrzehnten erleben wir das Drama, wie ein im öffentlichen Eigentum stehendes Unternehmen von der Politik und von sich selbst ruiniert wird.

Den öffentlich-rechtlichen Hörfunk nehme ich übrigens ausdrücklich von diesem Urteil aus, zumindest die Sender Ö 1 und auch FM 4 - sie entsprechen noch dem, was man unter öffentlich-rechtlich versteht, weil sie der Politik aufgrund mangelnder Massenwirksamkeit nicht wichtig genug erscheinen.

Die Unverschämtheit der Regierungsparteien verblüfft einen immer wieder. Etwa, wenn die Volkspartei einen smarten, willfährigen, aber nicht weiter qualifizierten Provinzredakteur aus Niederösterreich zum Finanzchef des größten österreichischen Mediums macht. Oder wenn die Sozialdemokratie die Exekution der Medienmacht den Roten Falken überträgt. In Anbetracht der Taube in der Generaldirektion eine möglicherweise naheliegende Maßnahme, aber dennoch eine Beleidigung des Publikumsgeschmacks.

Oder wenn Landesfürsten Landesstudios als ihr Privateigentum betrachten. Tiere würden Faymann wählen, titelte die Krone. Nur niederösterreichische Tiere nicht. Die wählen Pröll. - Tiere, wie lange wollt ihr euch das noch bieten lassen?

Die rechte Opposition ist kein Haar besser. Sie hat schon gezeigt, was sie kann, als sie an der Regierung war: Sie interveniert noch plumper, unverschämter und ungeschickter als Rot-Schwarz. Ihre Drohung, sie werde in den Redaktionsstuben Ordnung schaffen, steht nach wie vor auf der Agenda ihrer kleinen Führer. Und die Grünen scheinen neuerdings im Stiftungsrat so abzustimmen, wie es der rot-grüne Proporz verlangt.

Politik in Österreich kümmert sich traditionellerweise nicht um Öffentlichkeit. Sie verlässt sich auf das Fernsehen. Was an zwei Dingen scheitert: Erstens ist Fernsehen tendenziell ein Unterhaltungs- und kein Argumentationsmedium. Und zweitens denken die politischen Parteien nicht daran, sich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu legitimieren.

Zwei Seiten ...

Sie wollen nur die Massen lenken, und dazu brauchen sie nicht Politik durch das Medium, sondern politischen Einfluss auf das Medium.

Damit begünstigt Politik die Fragmentarisierung der öffentlichen Medien. Weil das parallel zur Fragmentarisierung aller Arten von Öffentlichkeit geschieht - ironischerweise bei gleichzeitiger Konzentration und Anonymisierung des Eigentums - hat es dramatische Konsequenzen für die Demokratie. Öffentlich-rechtliche Medien haben die Aufgabe, der Fragmentierung entgegenzuwirken, sie sollten den Markt korrigieren, statt hilflos an ihm teilzunehmen.

Öffentlichkeit, das sind die zum Publikum versammelten Privatleute, die voreinander Argumente ausbreiten und vernünftig abwägen. Zumindest als Fiktion ist diese Annahme die Grundlage der Demokratie. Wenn Politik daran nicht mehr teilnimmt, weil sie vor Publikum nicht mehr argumentiert, sondern nur noch versucht, die Stimmung dieses Publikums zu steuern, gibt sie sich selber auf, zumindest in demokratischer Form. Wundert sie sich, dass die Stimmung gegen sie umschlägt?

... einer Katastrophe

Dass sie den ORF in die Selbstkommerzialisierung geradezu treibt, ist die eine Seite seiner Katastrophe. Sie lässt das Unternehmen nicht von der politischen Leine - was nicht hieße, es der politischen Kontrolle zu entziehen - und wundert sich, dass es nicht vorankommt.

Dass die Führung des ORF nicht imstande ist, zu argumentieren, wozu die Gesellschaft ihn braucht, ist die andere Seite der Katastrophe. Das mächtigste Medium des Landes verzichtet darauf, in eigener Sache medial und argumentativ im eigenen Medium tätig zu werden und versucht, wie die Politik, den korrupten Weg einer Allianz mit Boulevardmedien zu gehen. Alles, nur keine schlechte Presse in Heute, Österreich oder Krone! Das bedeutende Intelligenzblatt TV-Media nicht zu vergessen! - So lautet das oberste politische Dogma in der Anstalt. Das Gegenteil ist wahr: Der ORF macht etwas falsch, wenn er in diesen Medien eine gute Presse hat.

Nachdem ich vor kurzem an dem Versuch einer ORF-Rettung teilgenommen habe, der wenig bewirkte, außer dem jetzigen Direktor den Kopf zu retten, den er wohl auch ohne uns Retter aus der Schlinge gezogen hätte, darf ich heute sagen: Der ORF ist nicht zu retten.

Außer vielleicht durch sich selbst. Ich kann deshalb nur den Widerstand seiner Redakteure unterstützen, die sich gegen die Parteipolitisierung des Stiftungsrats und der Personalpolitik im ORF wehren. Sie liegen auf der anderen Waagschale, sie kämpfen für ein öffentlich-rechtliches Unternehmen.

Das geistige Vakuum an der Spitze des Unternehmens können allein sie füllen; das Kerngeschäft des ORF wäre es nämlich, kein Geschäft zu sein. Das ist die Idee dieser Anstalt. Das intellektuelle Potenzial hätte sie, aber ihre Führung wie die zuständige Politik ziehen es vor, dieses Potenzial mit Füßen zu treten ... (Armin Thurnher, DER STANDARD; Printausgabe, 20./21.11.2010)