6000 Briefe aus 50 Jahren, in denen die Urheberin uns noch heute, fast 300 Jahre nach ihrem Tod, ganz lebendig entgegentritt. Die 1652 in Heidelberg geborene Liselotte von der Pfalz, die 1722 in Paris starb, als erste Schriftstellerin der deutschen Literaturgeschichte zu bezeichnen, wie das der Verlag tut, ist historisch strittig. Völlig unstrittig hingegen gehört sie, die 19-jährig den jüngeren Bruder des französischen Monarchen Louis XIV, des "Sonnenkönigs", heiratete, zu den großen Briefstellern der europäischen Geschichte.
Auf der Grundlage ausgewählter Episteln hat Hans Pleschinski, selbst ein graziöser Erzähler und einer von ganz wenigen wirklich an Tradition und Geschichte interessierten lebenden deutschsprachigen Autoren, eine kluge Revue zusammengestellt: ein Sittenbild barocken höfischen Lebens inklusive Maliziositäten und emotionaler Katastrophen, etwa der Tod einiger Kinder, und Tiefschläge - ihr Mann, ein Verschwender, war homosexuell. Die Urgroßmutter Marie Antoinettes berichtet dies in einer plastischen, direkt an die Empfängerinnen gerichteten, mal verschwatzten, dann wieder fast chronikalischen Manier.
Christa Berndl liest die Briefe mit Vehemenz in einer präzis passionierten, der Melancholie, dem Überschwang, schließlich der Reflexion physischen Verfalls angepassten Stimmlage. (Alexander Kluy / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.11.2010)