Linda Polman: "Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen". Campus, Euro 19,90

Jean Feyder: "Mordshunger. Wer profitiert vom Elend der armen Länder". Westend, Euro 25,70

Jahrzehnte von Entwicklungshilfe haben an der Situation in den Zielländern nicht viel bewirkt. Entwicklungshilfe, egal ob von staatlicher Seite, von internationalen Organisationen oder privater Seite initiiert, versandet im Nichts und verfestigt häufig die Abhängigkeit der armen Staaten von den reichen Geberländern. In zwei jetzt erschienenen Büchern wird mit unterschiedlicher Stoßrichtung die bestehende Form von Hilfe kritisiert, ja sogar als kontraproduktiv zu jeglichen Entwicklungszielen angesehen.

Linda Polmans Buch ist streckenweise schockierend: Die Hilfsorganisationen verschärften die Situation in den armen Ländern mehr, als sie halfen, sie zu beseitigen. Die Journalistin beschreibt, wie humanitäre Hilfe voller Widersprüche steckt: Etwa, indem sich die internationalen Hilfsorganisationen gegen ihre Konkurrenz, also andere Hilfsorganisationen, abheben müssen, da alle um das Mitleid, sprich um die Spendengelder der Menschen aus reichen Ländern, buhlen.

In dieser Konkurrenzsituation präsentiert man den Medien, die bei Polman auch nicht gut wegkommen, möglichst krasse Fälle von Übergriffen oder Notsituationen in den Entwicklungsländern. Fälle, die eventuell gar nicht repräsentativ sind für die Situation in dem Krisengebiet. Der Vorwurf, diese Fälle seien von den korrupten politischen Führern vor Ort absichtlich konstruiert, um an möglichst viel Gelder zu kommen, schwingt bei Polman immer mit.

Ein Grundproblem in Krisengebieten ist, dass Kriegsparteien vor Ort von Hilfsgütern und -geldern abhängig sind, sodass sie gar kein Interesse daran haben, Konflikte zu beenden. Über die Verteilung und Nichtverteilung dieser Mittel halten sie Einfluss und politische Stärke aufrecht.

Es ist das Grundproblem humanitärer Hilfe, mit der sich Polman beschäftigt: Soll man Hilfe geben, selbst wenn damit Unrechtsregimes geholfen wird? Wenn damit gar Kriege mit all ihrem Leid für die Zivilbevölkerung länger am Kochen bleiben als ohne Hilfe von außen? Auf diese Fragen liefert sie keine Antworten. Polman meint nur, dass mehr "die richtigen Fragen gestellt werden müssten" - von der Bevölkerung und den Medien in den Geberländern.

Auch Jean Feyder sieht an der Art, wie Hilfe praktiziert wird, einen Skandal. Lebensmittel- und Sachgüterhilfen drängen die lokalen Bauern und Hersteller ins Abseits. Die unter dem Regime von Welthandelsorganisation, Währungsfonds (IWF) und Weltbank betriebene Liberalisierung der Märkte lässt die sowieso nur schwachen Wirtschaftsstrukturen in den armen Ländern verkümmern. Entwicklungsländer müssten ihre Märkte schützen dürfen, fordert er und kritisiert die Härte, mit der anlässlich von Umschuldungsmaßnahmen durch den IWF diese armen Länder den globalisierten Märkten noch schutzloser ausgeliefert werden.

An Polmans Buch ist zu kritisieren, dass zwischen der Hilfe von NGOs (Non Governmental Organisations) und den staatlichen Hilfsmaschinerien von USA oder Europa zu wenig differenziert wird. An Feyder, dass er streckenweise zu sehr in UN-Strukturen denkt. Lesenswerte Bücher sind es beide. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.11.2010)