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Chemiker Herwig Schuster: "Firmen brauchen Anreize, um schneller auf den nötigen Stand der Technik zu kommen, als sie das sonst würden

Foto: AP/Ronald Zak

Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster ist überzeugt, dass strengere Gesetze Katastrophen wie jene in Ungarn nicht verhindern können. Vielmehr müssten Anreize geschaffen werden, in die Technik zu investieren

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Standard: Greenpeace hat eine ganze Liste sogenannter tickender Zeitbomben östlich von Österreich erstellt. Was ist all diesen Werken gemein?

Schuster: In der Bergbauaufbereitung ist allen gemein, dass immer sehr große Mengen bewegt werden. Bei Gold habe ich zum Beispiel auf ein Gramm Gold eine Tonne Abfall. Mineralien haben zudem die Eigenschaft, dass sie auch immer Schadstoffe beinhalten. Und das Material ist sehr, sehr fein. Das heißt: Wenn es einmal rutscht, dann verdammt gut - insbesondere Rotschlamm.

Standard: Hat sich die Situation in den vergangenen Jahren gebessert?

Schuster: Was die Altlasten betrifft, wird schon einiges getan. Die Wahrscheinlichkeit, dass da etwas passiert, nimmt daher ab. Vor allem nach Rumänien fließt viel Geld der Weltbank und der EU. Es gibt aber ein paar ungünstige Entwicklungen, dass etwas Neues gebaut wird - zum Beispiel in Roºia Montana. Das ist derzeit aber eher die Ausnahme.

Standard: Sie haben sich schon vor dem Giftunfall in Ungarn mit Altlasten und Chemiewerken in Osteuropa beschäftigt. Hat Sie der Vorfall überrascht?

Schuster: Der spezielle Fall in Ungarn hat uns überrascht. Wir hatten eher das Gefühl, dass gerade Ungarn im Bereich Wasser mehr getan hat als andere Länder - infolge der Goldminenkatastrophe in Baia Mare im Jahr 2000.

Standard: Inwieweit können kritische Beobachter wie Umweltschutzorganisationen überblicken, was bezüglich Industrieruinen in einem Land vor sich geht?

Schuster: Im Moment hat niemand den Überblick über die Industrieanlagen eines Landes.

Standard: Noch gelten auf nationaler Ebene getroffene Verordnungen. Greifen die EU-Vorschriften noch nicht?

Schuster: Die EU-Vorschriften finden noch nicht die volle Anwendung. Es gibt Stufenpläne für 30, 40 Jahre alte Industrieanlagen - in die man entweder massiv investieren oder die man niederreißen müsste. Das sind leider Prozesse, die sehr lange dauern. Strengere Gesetze werden nicht helfen, sondern eher, Kontrollprogramme zu installieren, die den Firmen Anreize bieten, schneller auf den nötigen Stand der Technik zu kommen, als sie das sonst würden.

Herwig Schuster studierte an der Montanuni Leoben und ist Chemiker bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Schwerpunkt Osteuropa. (Gudrun Springer, DER STANDARD Printausgabe 22.11.2010)