Sandrine Leclerc (li.) und Magali Drouet verloren ihre Väter durch den Bombenanschlag vom 8. Mai 2002 in Karatschi. Mit ihrem Buch bringen sie Präsident Sarkozy in neue Bedrängnis.

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Elf Franzosen starben 2002 bei einem Bombenanschlag in Karatschi. Jetzt fordern zwei hinterbliebene Töchter eine Erklärung von Präsident Nicolas Sarkozy. Sie vermuten hinter dem Blutbad eine üble Parteispendenaffäre.

Sie sind die Freundlichkeit in Person, auch wenn etwas in ihrem Blick keinen Zweifel zulässt: Sandrine Leclerc und Magali Drouet sind bereit, bis zum Letzten zu gehen. Die zwei Französinnen sind "empört und wütend", wie sie im Büro ihres Pariser Anwaltes erzählen. Abwechselnd schildern die beiden 35-jährigen Frauen, wie sie am 8. Mai 2002 ihre Väter bei einem Bombenanschlag in Karatschi verloren. Elf französische Ingenieure und vier Pakistani, die an einem von Frankreich an Pakistan verkauften U-Boot bauten, kamen ums Leben.

Sandrine und Magali, die einander bei der Beerdigung ihrer Väter kennengelernt hatten, wünschten Aufklärung, wurden aber wie alle Angehörigen hingehalten. "Der Anwalt, den uns das Innenministerium zuwies, empfing uns in sechs Jahren kein einziges Mal", erzählt Sandrine, die in Perpignan Biologielehrerin ist. "Heute wundert uns das nicht mehr: Er arbeitete unter dem damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy."

2008 wechselten Sandrine und Magali den Anwalt. Ihr neuer Rechtsvertreter gelangte bald zur Gewissheit, dass hinter dem Karatschi-Anschlag keineswegs Islamisten steckten, wie die Behörden beider Länder behaupten. Die Affäre begann vielmehr schon 1994, als Frankreich drei Agosta-Unterseeboote an Pakistan verkaufte. Den Kaufpreis von umgerechnet 820 Millionen Euro schmierte die Regierung in Paris ganz legal mit 84 Millionen an "Kommissionen" . Ein Teil dieser Gelder floss aber offenbar nach Paris zurück. Der spätere Verteidigungsminister Charles Millon bestätigte dieser Tage einem Untersuchungsrichter, 1994 seien solche "rétrocommissions" in der Agosta-Affäre im Umfang von gut zehn Millionen Euro wirklich zurückgeflossen. Sandrines und Magalis Verdacht wurde damit erstmals von offizieller Seite erhärtet. Pariser Medien sprechen von einem "Karatschigate" , das zweifellos mehr Dynamit als der zerbombte Bus von 2002 erhält. Denn die Luxemburger Polizei hat inzwischen eruiert, dass die zehn Millionen in der Kasse des Präsidentschaftskandidaten Edouard Balladur landeten – dessen Kampagnenchef Nicolas Sarkozy war. Auf dem Luxemburger Konto erteilte ein gewisser "NS" den entsprechenden Auftrag.

"Heute verlangen wir Auskunft, Herr Präsident" , meinten Sandrine Leclerc und Magali Drouet vor wenigen Tagen in einer Pressekonferenz, bei der sie ihr gemeinsames Buch Man nennt uns "Die Karatschis" (Verlag Fleuve Noir) vorstellten. "Sie können nicht länger auf die gleiche Weise lügen."

Sarkozy hat die Behauptungen schon vor Monaten pauschal als "grotesk" verworfen. Doch falls sie stimmen, wären der heutige Präsident und Balladur für den Tod der 15 Bombenopfer mitverantwortlich. Unabsichtlich zwar, aber vermittels illegaler Schmiergelder.

Chirac stoppte Zahlungen

Von diesen "rétrocommissions" weiß man heute, weil Balladurs damaliger Rivale Jacques Chirac Wind davon gekriegt hatte. Der 1995 gewählte Präsident ließ, wie sich Millon erinnert, die Agosta-Zahlungen abrupt einstellen, damit sie nicht auf Umwegen zurückkehrten und in der Tasche Balladurs landeten. Nicht nur Sandrine und Magali vermuten, dass das Abdrehen des Geldhahns die Pakistani so in Rage brachte, dass sie den Bus mit den elf Franzosen in die Luft sprengten.

"Wir wissen nicht, wie es sich genau verhielt, aber wir verlangen Aufklärung" , meint Magali, die als Schiffskontrolleurin in Cherbourg arbeitet und wie Sandrine keiner politischen Partei angehört. Durch Millons Aussagen fühlt sie sich bestärkt. "Die präsidiale Amtsimmunität ist nicht sakrosankt. Auch Sarkozy muss aussagen. Wenn der französische Wahlspruch von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weiter gelten soll, müssen vor dem Gesetz alle gleich sein. In Frankreich wurden schon viele Affären vertuscht. Doch diesmal wird das nicht gehen, denn jetzt sind elf Witwen und 27 Waisen da." (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2010)