Heidemarie Uhl.

Foto: STANDARD/Corn

STANDARD: Welche Traditionen gibt es in Österreich, wenn es um Bilder über "kulturell Andere" geht?

Uhl: Die Habsburgermonarchie war eine Gesellschaft von gleichberechtigten Staatsbürgern, aber es gab die Vorstellung von höher und weniger Zivilisierten. Die Deutschsprachigen haben sich als die Spitze der Zivilisation gesehen, verbunden mit dem Selbstverständnis, dass sie es sind, die Aufklärung und Fortschritt zu den nichtdeutschsprachigen Nationalitäten im Osten und Südosten bringen. Aber auch dort gab es immer einen Nachbarn, der als kulturell tieferstehend angesehen wurde. Die Imaginationen von zivilisatorischer Überlegenheit und Unterlegenheit sind also ein europäischer Wandermythos.

STANDARD: Und wie entsteht kulturelle Differenz?

Uhl: Wie eine Gesellschaft über sich selbst denkt, hängt mit ihrer Vorstellung darüber zusammen, wie andere über sie denken. Die Österreicher machen sich klein, weil sie denken, dass andere denken, dass Österreich ein kleines Land ist. Hier herrscht etwa die Vorstellung, Österreich sei ein kleines Land, das weitaus weniger am technologischen Fortschritt teilhat als Deutschland. Diese Selbstzuschreibung behindert natürlich auch viele Österreicher, sich selbst das zuzutrauen. Andererseits sieht man sich als kulturelle Großmacht und bezieht daraus ein Überlegenheitsgefühl - gerade gegenüber Deutschland.

STANDARD: Das Narrativ des Weniger-Zivilisierten taucht heute in der Türkei-EU-Beitrittsdebatte und der Integrationsdebatte wieder auf.

Uhl: Absolut, da geht es wieder um die Kulturalisierung von Differenzen und nicht um die Frage der Durchsetzung der rechtlichen Grundlagen einer Gesellschaft. So wie früher bei der Erfindung des "echten Wieners". Kultur wird da zu einer Fabrik von Identität und Differenz. Das richtet sich natürlich nur gegen jene, die man als kulturell niedriger stehend erachtet. Kulturelle Differenz ist ein Instrument, das positiv und negativ aufgeladen werden kann und ganz strategisch eingesetzt wird.

STANDARD: Wie beim Kopftuch?

Uhl: Ja, wenn Medien Migration als kulturelle Differenz visualisieren wollen, dann kommt in neun von zehn Fällen das Kopftuch vor, denn zumeist sieht man den Menschen ihren Migrationshintergrund ja nicht an. Aber diese Art der Darstellung und Debatte enthebt einen von den wirklich wichtigen Fragen: Wie setzt man Dinge um, die etwas kosten, etwa ein durchlässigeres Schulsystem? Im Grunde handelt es sich bei der Debatte um Migration und Integration um eine Kulturalisierung und Ethnisierung des Sozialen.

STANDARD: Die FPÖ hat zuletzt wieder das "Wiener Blut" beschworen.

Uhl: Diese Ideen von ethnischer Reinheit entstammen den nationalistischen Parolen des 19. Jahrhunderts.

STANDARD: Zur Monarchie gehörten auch Muslime, aber einen islamophoben Diskurs gab es vor hundert Jahren nicht.

Uhl: Die Zugehörigkeit von Muslimen war eine Folge der Okkupation und späteren Annexion von Bosnien-Herzegowina. In zeitgenössischen Karikaturen wird sichtbar, welche negative Vorstellungen von kultureller Differenz über die Bosnier verbreitet waren. Vor 100 Jahren waren die Juden, das "religiös Andere" in Wien. Es gab ähnliche Debatten um den Bau von Synagogen wie heute um Moscheen.

Heute ist der Islam aber zu einem neuen Leitindikator für die Markierung von kulturellen Unterschieden geworden. Der wesentliche Faktor beim Feindbild Islam ist die Homogenisierung nach innen und die Vorstellung, einer überlegenen Kultur anzugehören. Obwohl ich vielleicht weniger verdiene als mein Nachbar, kann ich mir dann überlegen vorkommen, weil ich ja zum christlichen Abendland gehöre.

STANDARD: Die österreichische Monarchie war ein multiethnischer Staat. Bei der EU-Osterweiterung waren die Österreicher aber gegenüber den ehemaligen Ländern der Monarchie negativer eingestellt als andere Europäer. Weshalb?

Uhl: Das hat eine gewisse Logik. In der Monarchie gab es offiziell Supranationalität. Die mit dem Nationalismus verbundene Vorstellung von ethnisch-sprachlich homogenen Territorien funktionierte nicht, vor allem nicht in den durch Migration entstandenen Großstädten.

Vorurteile aus dieser Zeit haben vielfach überlebt, etwa antitschechische Vorurteile. Es gibt ja auch die These, dass die Monarchie an einem Formular zerbrochen ist, nämlich an der Volkszählung. Man durfte nämlich nur eine Sprache wählen, und das war ein Desaster. Denn mit der Sprache wurden nationale Besitzstände verbunden, so wie jetzt etwa in Kärnten. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD-Printausgabe, 22.11.2010)