Innsbruck - Der Tiroler Landesverband für Psychotherapie (TLP) hat bei einer Pressekonferenz am Dienstag Alarm geschlagen: Immer mehr Kinder brauchen psychologische Behandlung. Die Kosten sind aber vor allem für sozial schwache Familien oft nicht bewältigbar. Allein in Tirol würden 3.000 Kinder dringend eine Therapie benötigen, aber nur für 75 pro Jahr werden die Kosten zur Gänze von der Tiroler Gebietskrankenkasse (TGKK) übernommen, erklärte Karl-Ernst Heidegger, Vorsitzender des Landesverbandes.

"Die Kassen verabsäumen es, die volle Verantwortung für diese Kinder zu übernehmen", kritisierte auch die Psychologin Klaudia Wolf-Erharter. Wenn man den jungen Patienten zumindest zehn bis 15 Stunden Therapie ermöglichen könnte, wäre in den meisten Fällen schon viel getan. Derzeit sei es allerdings leider so, dass Eltern häufig bereits nach der dritten Sitzung die Behandlung abbrechen, weil sie die Kosten einfach nicht mehr tragen können, berichtete die Expertin. Die Kasse übernehme lediglich 21,80 Euro pro Stunde. Dieser Anteil sei seit 20 Jahren gleich hoch und entspreche mittlerweile nur mehr knapp einem Viertel der tatsächlichen Summe.

Akute und rasche Hilfe

Das bestehende System bevorzuge schwere und schwerste Erkrankungen, die einer Langzeittherapie bedürfen, meinte der TLP-Vorsitzende. "Kinder brauchen aber keine Langzeittherapie, sondern rasche und akute Hilfe", sagte Heidegger. Aus diesem Grund fallen sie oft durch den Rost. Als Beispiel führte der Therapeut die Geschichte eines Volksschulkindes mit einer schweren Zwangsstörung an. Das Mädchen ekelt sich vor allem, was seine Mitschüler berührt haben. Für einen von der Kasse finanzierten Behandlungsplatz müsste es bis zu einem halben Jahr warten. Der verzweifelte Vater könne sich aber die Therapiekosten in der Zwischenzeit nicht leisten. "So wiederholen sich die Fallbeispiele wöchentlich in unseren Praxen", fügte Heidegger hinzu.

Zwischen vier und fünf Prozent der Kinder laufen Gefahr depressiv zu werden, sagte Heidegger. Selbstmord sei die zweithäufigste Todeursache bei den Zehn- bis 19-Jährigen. Über Suizid bei Kindern werde allerdings häufig aus Scham der Mantel des Schweigens gebreitet oder der Todesfall werde als Unfall deklariert. Von 2008 auf 2009 sei österreichweit der Verbrauch von Psychopharmaka bei Kindern um 20 Prozent gestiegen, der Verbrauch von Ritalin allein in Tirol in den vergangenen Jahren um 500 Prozent, sagte Wolf-Erharter. Diese Zahlen zeigten den Handlungsbedarf auf. Ritalin wird beispielsweise bei der Behandlung von hyperaktiven Kindern eingesetzt.

Scheidungskinder besonders gefährdet

Ganz oben auf der Liste der psychischen Erkrankungen bei Kindern stehen Depressionen, Angsterkrankungen und psychosomatische Erkrankungen wie Bettnässen und Schlafstörungen. Auch Zwangsstörungen haben in den vergangenen Jahren laut Heidegger stark zugenommen. Gefährdet seien Scheidungskinder und Kinder psychisch kranker Eltern. Aber auch Armut zählte Heidegger zu den wesentlichen Risikofaktoren. (APA)