Wien - In jedem Schöngeist steckt ja doch auch eine Rotznase. Zumindest im Falle von Jazzpiano-Romantiker Brad Mehldau weiß man seit seinem Überraschungscoup Largo aus dem Jahr 2002, dass er auch anders kann - wagte er sich damals doch unter der Regie von Pop-Produzent Jon Brion auf das Terrain präparierter Klavier- und räudiger Verstärkersounds.

Die Erwartungen waren entsprechend hoch, als acht Jahre später die Wiedervereinigung des Teams Mehldau/Brion verkündet wurde. Doch das nun vorgelegte Opus Highway Rider setzt den Schwerpunkt anders, strebt eine Erweiterung der Soundpalette nicht im Inneren, sondern im Äußeren an. Bläser und ein Streichorchester gesellen sich nunmehr zum phasenweise durch Schlagzeuger Matt Chamberlain und Saxofonist Joshua Redman aufgestockten Mehldau-Trio mit Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Jeff Ballard. Den Eindruck eines unfertigen, nicht wirklich zu Ende gedachten Projekts, den die CD hinterlässt, konnte auch die Live-Präsentation mit der englischen Britten Sinfonia unter Dirigent Scott Yoo, zugleich Auftakt der drei Konzerte umfassenden Mehldau-Saison-"Residency" am Wiener Konzerthaus, nicht vertreiben. Unschlüssig, skizzenhaft wirkte etwa der Opener John Boy, in dem Mehldau das mehrmals wiederholte Thema einmal an jener, einmal an dieser Stelle von Einwürfen der Bläser farblich variierte.

Als Orchesterkomponist bot Mehldau in Stücken wie Now You Must Climb Alone - inspiriert von der Richard Strauss' Metamorphosen - in der dichten Kontrapunktik des Satzes manch interessanten Moment, beschwor aber doch oft zu direkt spätromantisches Pathos à la Arnold Schönbergs Verklärte Nacht.

So richtig rund wurde die Sache nur auf vertrautem Terrain. In orchesterlosen Stücken wie Capriccio oder dem Breakbeat-infizierten Sky Turning Grey spielte Mehldau seine Stärken als großartiger Kammermusiker des Jazz aus, auch Joshua Redman konnte hier mit konzentrierten, voller überraschender Ideen steckenden Soli prunken.

Dass das Saxofon-Klavier-Duo Old West zu einem Höhepunkt interaktiver Intimität geriet, ergab sich da fast schon zwangsläufig. Die 88 Tasten des Klaviers sind jenes Orchester, das Brad Mehldau immer noch am besten beherrscht. (Andreas Felber/DER STANDARD, Printausgabe, 24. 11. 2010)