Ingolf Wunder, 25 Jahre alt und Zweiter des Warschauer Chopin-Wettbewerbs.

Foto: ingolfwunder.com

Wien - Am Morgen danach war er glücklich, stolz und völlig knülle. Eine irrsinnige Spannung und Last sei nach dem Finale von ihm abgefallen, sagt Ingolf Wunder, aber Zeit zum Ausruhen sei keine gewesen. Zahllose Interviews folgten, Konzerte sowie Kontaktaufnahmen seitens zweier Major-Plattenlabels und wichtiger Künstleragenturen.

Klar, der traditionsreiche, alle fünf Jahre ausgetragene Chopin-Wettbewerb in Warschau zählt zu den renommiertesten Fähigkeitsvergleichen im Land von Ebenholz und Elfenbein. Pianisten wie Maurizio Pollini, Martha Argerich oder Krystian Zimerman haben ihn gewonnen und in der Folge Weltkarrieren gestartet. Dem erratischen Ivo Pogorelich hat dafür sogar ein Rausschmiss nach der dritten Runde gereicht, etliche Gewinner sind aber auch wieder ins Dunkel der Unbekanntheit entschwunden.

Casting-Show-Kurzblüte oder künstlerisches Immergrün? Wunder weiß, dass der Erfolg, den er im Oktober in Warschau errungen hat, keine Karrieregarantie mit sich bringt, aber "den größten Karriereschub, den man als Pianist bekommen kann".

Der sich selbst als positiv, neugierig und ehrgeizig beschreibende Kärntner, den Konzertauftritte sonst kaum nervös machen, beschreibt die Zeit in Warschau als "schon sehr schwer". Die Spielzeit werde mit bis zu einer Stunde pro Wettbewerbsdurchgang sukzessive immer länger, der Druck von Runde zu Runde immer größer.

Schließlich reichte es für den zweiten Preis; zwei Zusatzpreise für die beste Interpretation der Polonaise-Fantasie und eines Konzerts fetteten das Preisgeld auf 31.000 Euro auf. Es hätte Expertenstimmen gegeben, die das Ergebnis als "überraschend" bezeichnet und gemeint hätten, dass mit der Russin Julianna Awdejewa "nicht der beste Chopin-Spieler" gewonnen hätte, sagt Wunder. Angeblich hätten während der Wertung des Finaldurchgangs noch Regel- und Punkteänderungen stattgefunden: "ein ziemlicher Skandal".

Im Internet wurden hitzige Debatten zwischen Awdejewa-Adoranten und Wunder-Gläubigen geführt; sogar das deutsche Wochenblatt Die Zeit widmete der pianistischen Bataille an der Weichsel Aufmerksamkeit. Wer sich selbst einen Eindruck verschaffen will, kann die Auftritte der Teilnehmer im Archiv des Wettbewerbs einsehen, unter www.konkurs.chopin. pl.

Einerseits von französischer Eleganz und Feinnervigkeit, andererseits mit polnischer Vitalität und Stolz erfüllt: Wie sieht Wunder die Mischungsverhältnisse in der Musik des Chefmelancholikers der Romantik? Definitiv unipolar: Chopins Musik sei, trotz der langen Aufenthalte des Komponisten in Paris und dessen Elternhaus, komplett von seinem Heimatland bestimmt: "Chopin war durch und durch Pole", meint er, und für ihn als Nichtpolen wäre es wichtig gewesen, sich mit diesen genuin polnischen Elementen auseinanderzusetzen. Dabei hat ihm Adam Harasiewicz geholfen.

Wunder ist die letzten zwei Jahre bei dem polnischen Pianisten - der ehemalige Gewinner des Chopin-Wettbewerbs war Mitglied der diesjährigen Jury - in die Lehre gegangen und hat sich intensiv mit Klangarbeit beschäftigt, wie auch mit dem Rubato-Spiel, dem bei Chopin so wichtigen freien Vor- und Zurückschwingen des Tempos.

Mit Erfolg. Für den Preisträger folgen nun Auftritte in ganz Europa; heute, Mittwoch, debütiert Wunder im Wiener Musikverein, auf sein Solorecital in der Warschauer Philharmonie freue er sich auch schon, dann folgten im neuen Jahr Konzerte in Japan, in Kuba und und und.

Kein Problem für ihn, die nächste Zeit fast nur Chopin zu spielen? "Überhaupt nicht, er ist mein absoluter Lieblingskomponist." Kein Wunder. (Stefan Ender/DER STANDARD, Printausgabe, 24. 11. 2010)