ORF-Finanzdirektor Richard Grasl will einen "Stress Test" für den öffentlich-rechtlichen ORF etablieren. Wie Grasl sagte, sollen damit verschiedene wirtschaftliche Krisenszenarien durchgespielt werden. "Ich glaube nicht, dass wir uns noch einmal zwei Jahre leisten können wie die vergangenen beiden. In Zukunft müssen wir für alle Szenarien Maßnahmenpläne bereit haben." Gespart werde im ORF weiter, kündigte er an. 2012 klaffe eine Finanzierungslücke von 30 Mio. Euro. Grasl will allgemein die Produktionskosten senken und die Verträge mit Dominic Heinzls "Chili" und die Location von "Im Zentrum" überprüfen.
2011 wird der ORF-Konzern laut Finanzplan ein positives Ergebnis (EGT) von 300.000 Euro schaffen, sagte Grasl. Ursprünglich war für nächstes Jahr ein Minus von 25 Mio. Euro prognostiziert worden. Um die noch offene Lücke von 30 Mio. Euro im Jahr 2012 zu schließen, werde er "in den nächsten Wochen den Direktionen und Abteilungen auch für 2012 eine Einsparungsvorgabe schicken. 2011 und 2012 soll - so wie dies heuer gelungen ist - die schwarze Null ohne Einrechnung der Gebührenrefundierung erreicht werden", erklärte Grasl. "Mein Ziel wäre es, dass wir 2013/14, wenn die Gebührenrefundierung ausläuft, den ORF so gesund haben, dass er finanziell unabhängig ist."
Im Auge hat der Kaufmännische Direktor dabei vor allem die Produktionskosten. "Da sind wir nicht soweit gekommen, wie ich es mir gewünscht hätte, aber das heißt ja nicht, dass das nicht unterjährig passiert." Mit den Finanzverantwortlichen im Programm sei er bereits im Gespräch, außerdem würden internationale Benchmarks für Sendeformate zugrunde gelegt. "Wir schauen uns an, wie viel das Genre 'XY' international kostet und wie viel wir dafür zahlen. Sollte es Differenzen geben, werden wir diese Lücke schließen."
Pilot für "Im Zentrum neu"
Die teure Kulisse der Diskussionssendung "Im Zentrum" im Wiener Haas-Haus könnte im Zuge dieser Überlegungen nun doch dem Sparstift zum Opfer fallen. Grasl hat am Montag die Finanzmittel "für einen Piloten von 'Im Zentrum' neu", dass dann voraussichtlich wieder am Küniglberg stattfinden soll", freigegeben, wie er sagte. "Die neue Sendung muss jedenfalls weniger kosten als das, was sie bisher im Haas-Haus gekostet hat." Wenn dies gelinge, sei es sinnvoll, das Format wieder ins ORF-Zentrum zu holen. Auch der Rechnungshof habe auf Mehrkosten von 570.000 Euro hingewiesen, so Grasl. Der abgewählte Informationsdirektor Elmar Oberhauser hatte den Standort stets verteidigt.
Am Kostenradar ist auch die Societysendung "Chili", deren tägliche Sendezeit nach schwachen Quoten de facto halbiert wurde. "Durch die Umstellung von 'Chili' ist es doch so, dass ich mir da Einsparungen für das nächste Jahr erwarte", so Grasl. Wie viel Produktionsminuten Sendungsmacher Heinzl, der einen Drei-Jahresvertrag mit dem ORF hat, bekommen soll "ist noch in laufenden Verhandlungen", so Grasl. "Aber eines ist für mich klar: Wenn weniger Produktionsminuten vom ORF abgenommen werden, wird der ORF Chili TV auch weniger bezahlen."
Teuer könnten die Verhandlungen mit dem ÖSV über Skirechte für die Saison 2012/2013 werden. Grasl, der die Rechte, die erstmals europaweit ausgeschrieben werden, verhandeln wird, ist optimistisch. Der ORF habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass er höchste Quoten liefern könne. "Von unseren Moderatoren bis zu den Ko-Moderatoren, Regie-Stars wie Fritz Melchert und unser herausragendes Technik-Team glaube ich, dass der ORF ein sehr gutes Angebot hat". Außerdem könne sonst niemand die breite zusätzliche Berichterstattung in Nachrichtensendungen und Fernsehen und Radio liefern.
Den abgewählten Informationsdirektor Oberhauser will Grasl in Sachen Sportrechte jedenfalls beiziehen, wie er sagte. Dieser habe bis Ende 2011 einen Vertrag mit dem ORF. "Gerade was die Situation der Sportrechte betrifft, würde ich mir wünschen, dass er da sehr aktiv hilft, weil er da wirklich eine sehr, sehr hohe Kompetenz und ein sehr gutes Netzwerk hat."
ORF-Wahl mit "breitest möglicher Mehrheit"
Bei den anstehenden ORF-Wahlen im Jahr 2011 hofft ORF-Finanzdirektor Richard Grasl auf eine "breitest mögliche Mehrheit", wie er sagte. "Ich glaube, dass die letzten Jahre auch gezeigt haben, dass es mit sehr knappen Mehrheiten sehr schwierig ist, das Unternehmen zu führen." Bei den Weichenstellungen, die in den kommenden Jahren auf den ORF zukommen, etwa die "Neuaufstellung nach dem Gesetz, Herausforderungen des Marktes, die Immobilienfrage, eine Neuordnungen der Plattformen am Fernsehmarkt", brauche einen breiten Konsens, so der Finanzdirektor. "Außerdem ein Team, das bedingungslos zusammenhält."
Grasl selbst sieht seine Zukunft weiter im Finanzbereich des ORF. "Ich bin sehr gern Kaufmännischer Direktor. Ich habe das vor einem Jahr übernommen und wie ich glaube, habe ich etliche Akzente gesetzt - und ich habe eine sehr gute Basis mit Generaldirektor Wrabetz." Grasl gilt in bürgerlichen Kreisen als ORF-Zukunftshoffnung und als möglicher Kandidat für den Posten des Generaldirektors.
In der Frage, ob es vorgezogene Neuwahlen der ORF-Geschäftsführung geben soll, hält sich Grasl bedeckt. "Es gibt sicher gute Gründe dafür, zum Beispiel strukturelle Veränderungen, die wir vornehmen müssen, und da halte ich es einfach für sinnvoll, dass diese mit denjenigen erarbeitet werden, die dem neuen Team angehören." Im Disput zwischen SPÖ und ÖVP über die Frage, ob damit auch die Funktionsperiode der Geschäftsführung vorzeitig enden soll, wollte er sich nicht festlegen. "Das ist dann eine andere Frage, die Politik und Stiftungsrat entscheiden müssen", so Grasl knapp.
Die Zerwürfnisse der letzten Wochen, die zum Ende der ORF-Karrieren von Informationsdirektor Elmar Oberhauser und Kommunikationschef Pius Strobl beigetragen haben, sind für Grasl kein Grund zur Niedergeschlagenheit. "Es ist überhaupt nicht so, dass eine Depressionsstimmung ausbricht. Wir gehen sehr zuversichtlich ins neue Jahr." Das angekratzte Image des ORF täusche jedenfalls. "Wir sind konfliktfähig nach innen und sollten konsensfähig nach außen sein, und meines Erachtens funktioniert das auch. Dieses öffentliche Bild, dass in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit entstanden ist, gilt es so rasch wie möglich der Realität anzupassen."
"Wir sind immer noch Europas bester Fernsehsender und Radiosender", so Grasl. "Wir haben auch erfolgreich online gearbeitet - die TVthek ist ein Knüller, Onlinedirektor Thomas Prantner arbeitet gerade daran, sie auf die mobilen Plattformen zu bringen. Das wird vor Weihnachten noch gelingen. Und wir arbeiten an neuen ORF 1-Formaten, an Kulturdokumentationen für die Landesstudios für nächstes Jahr." (APA)