"District 9" von Neill Blomkamp: Die Bedeutung von Biodiversität wird auch im Kino gezeigt.

Foto: Apomat

Gezeigt werden Dokumentation, Zeichentrick und Fiktion: Werke, die menschliches und tierisches Verhalten in Beziehung setzen.

Von der Vielfalt des kreatürlichen Lebens auf diesem Planeten macht man sich schwer einen Begriff, aber leicht ein Bild. Man muss nur einmal durch einen der Säle des Naturhistorischen Museums spazieren - und wird schon angesichts des ganzen Klein- und Kleinstwesen große Augen machen.

Inzwischen haben uns die Naturdokumentationen im Kino und im Fernsehen daran gewöhnt, dass kein Lebewesen so winzig ist, dass es nicht von den Objektiven der Kameras erfasst werden würde. Und an die großen, einschüchternden Tiere wagt man sich nur mit langen Brennweiten heran, aus der sicheren Distanz des zivilisatorischen Apparats, der mit dem Kino immer einhergeht. Dass es über das gut eingespielte Genre der Tierbeobachtung hinaus noch zahlreiche andere, spannende Weisen gibt, sich mit dem enormen Spektrum von Lebensformen auf der Erde zu beschäftigen, zeigt die vom Wissenschaftsministerium kofinanzierte Filmschau zur Artenvielfalt: "Die Leben der Anderen" vom 26. November bis zum 2. Dezember im Wiener Votivkino. Hier hat man einen sehr offenen Ansatz gewählt, und das erst verleiht dem Begriff der Artenvielfalt eine Sprengkraft, für die es mit gutem Recht auch der fiktionalen Formen bedarf.

Es geht hier also nicht nur um Dokumentar-, sondern auch um Spielfilme, um mögliche Szenarien des Zusammenlebens und um Krisen desselben. Dass mit "District 9" von Neill Blomkamp ein Überraschungshit aus dem Vorjahr hier auftaucht, hat eine ebenso plausible wie beunruhigende Logik angesichts der hässlichen Aspekte der Biodiversität, die da zu sehen sind.

Denn die Menschheit bekommt es bei Blomkamp mit außerirdischer Konkurrenz zu tun, mit Wesen, die aussehen wie marsianische Krustentiere oder wie die proteinreichen Shrimp-Zwillinge von Mad Max. Sie leben in Townships. "District 9" spielt in Südafrika und ist deswegen als groteske Anspielung auf Apartheid lesbar.

Spekulative Vorausschau

Künftige Aspekte von Artenvielfalt werden spekulativ vorweggenommen, wenn von Waffen die Rede ist, die direkt mit einer DNA verbunden sind, und wenn das Bestialische vom Menschlichen nicht mehr so genau zu unterscheiden ist.

Wie viele große Science-Fiction-Filme ist auch diese bewusst schundige Produktion eine große Zivilisationsallegorie - und hat man nicht genau unter diesem Gesichtspunkt sehr häufig auf das Tierreich geschaut, vom Ameisenstaat bis zum Wolfsrudel?

In eine gänzlich andere, lebensfeindliche Umgebung versetzt der chinesischen Film "Kekixili" ("Mountain Patrol"). In den tibetischen Randgebieten wird die Chiru-Antilope gejagt, deren Abschuss längst verboten ist, worum sich viele Wilderer angesichts der Unzugänglichkeit des Geländes nicht kümmern.

Lu Chuan erzählt in seinem auf zahlreichen Festivals gezeigten Abenteuerfilm von den Jägern der illegalen Jäger und bringt dabei die ungeheuren Schwierigkeiten sehr anschaulich vor Augen, vor denen der Versuch steht, bedrohte Arten vor den rücksichtslosen Interessen der Bereicherung zu bewahren.

Es spricht für den cinephilen Einschlag dieser Schau, dass auch formal wagemutigere Werke gezeigt werden und sogar echte Fundstücke. Hayao Miyazakis Zeichentrickfilm "Nausicaä aus dem Tal der Winde" gilt zu Recht als Höhepunkt in dieser besonderen Kunst: Wie so oft bei diesem japanischen Meister ist das Thema eine bedrohte Welt, die in diesem Fall von der Titelheldin auf abenteuerliche Weise vor dem Untergang bewahrt werden muss.

"Nausicaä" beruht auf einem Manga, und zeigt sehr schön, dass Artenvielfalt, so man erst einmal auf sie aufmerksam geworden ist, die Fantasie enorm stimuliert - so viele Wesen kann man gar nicht kennen, dass einem nicht noch eigene dazu einfielen.

Der kreative Schöpfungsbegriff, auf den "Die Leben der Anderen" ganz untheologisch hinausläuft, wirkt problemlos auf ein Universum zurück, das sich die Dokumentarfilmer immer wieder vor Augen führen. Nicolas Philibert hat eine eigene Kunst daraus gemacht, menschliches und tierisches Verhalten so zu filmen, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehr klar erkennbar werden, aber auch der Bereich der Ununterscheidbarkeit, auf den es ja eigentlich ankommt.

Denn immer, wenn wir Tiere in den Blick nehmen, neigen wir zur Anthropomorphie, und sehen dann brummige Väter und eifersüchtige Mütter, verspielte Kinder und verdrossene Greise, wo vielleicht in einer Herde gerade ganz andere, uns nicht unmittelbar einleuchtende Dinge kommuniziert werden.

Die Liebe der Tintenfische

Es gibt vielleicht keinen Regisseur, der diesen sich ja ein wenig zu wichtig nehmenden Blick besser wieder auf die Wunder des Lebendigen zurückgeführt hätte, als Jean Painlevé, der in einem der Kurzfilmprogramme mit seinen wesentlichen Werken vertreten ist: Das Liebesleben der Tintenfische kommt hier ebenso zu Tage wie das bestimmter Schnecken, und die Seeigel werden hier zu einem Wunder der Durchsichtigkeit. Dass diese Oursins auch eine echte Delikatesse produzieren, markiert eine weitere wichtige (und prekäre) Grenze der Artenvielfalt: den menschlichen Genuss, der sich nicht immer das Schauen beschränken will. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2010)