In den großen Städten sind mehr Polizisten zu sehen. Berliner wie Touristen nehmen das in der Hauptstadt eher gelassen.
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Drei Stück mit Brandenburger Tor. Eine vom Potsdamer Platz, eine vom Reichstag. Raine, Berlin-Besucherin aus Helsinki, greift bei den Postkarten im Hauptbahnhof ordentlich zu. Sie wirkt weder gehetzt noch ängstlich und will dann auch noch Parfum kaufen.
Sicherlich, von einem möglicherweise bevorstehenden Terroranschlag hat sie gehört. "Jeden Tag ruft meine Familie an und fragt, ob ich in Gefahr sei. Ich wohne ja auch gleich in diesem Hotel neben dem Hauptbahnhof" , sagt die 64-jährige Touristin. Doch von Gefahr spürt sie nichts. "Unsinn. Die werden doch nicht jetzt angreifen, wenn alle Welt vorgewarnt ist und überall die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden sind" , meint Raine und deutet auf den Haupteingang.
Dort stehen zwei Polizisten mit schweren Schutzwesten, die Maschinenpistole fest im Griff. Sie blicken sich auffällig unauffällig um und wippen mit den Füßen. Man fragt sich, wie die beiden ein Terrorkommando aufhalten sollen. Immerhin: Beim Hinterausgang stehen noch mal zwei bewaffnete Kollegen.
An denen zieht Ruth gerade vorbei. Die Pensionistin aus Leipzig begibt sich, gemäß den Warnungen, gleich in doppelte Gefahr: Im Bahnhof will sie sich eine Brezel kaufen, danach geht es zu Fuß weiter zum nahegelegenen Reichstag: "Dort haben wir heute eine Führung mit dem Abgeordneten aus unserem Wahlkreis." Ruth hat mehr Glück als Touristen, die nicht angemeldet sind. Die dürfen seit drei Tagen nicht mehr auf die Kuppel, diese ist gesperrt. "Ich fürchte mich überhaupt nicht, das ist alles so abstrakt. Eine Zeitung hat geschrieben, dass am 22. November was passieren soll. Aber nichts passierte" , sagt Ruth.
Im Reichstag werden diese Woche die Haushaltsberatungen trotz der Terrorbedrohung ganz normal abgehalten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärt: "Wir werden uns von unserer Arbeit trotz terroristischer Bedrohung nicht abbringen lassen." Auch Kanzlerin Angela Merkel nimmt einmal mehr Stellung und sagt: "Die Bedrohungen sind leider real." Gott sei Dank nicht immer, wie sich am Mittwoch in einem Regionalexpress in Ostwestfalen zeigt. Dort fand ein Zugbegleiter eine Bombenattrappe.
Auch Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ist nicht untätig. Nach den Luftfrachtbomben aus dem Jemen hat er 70 Luftfrachtfirmen überprüfen lassen. Drei davon wurden wegen Sicherheitsmängeln die Lizenz entzogen, drei weiteren die Neuzulassung verweigert. Und Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bringt, obwohl doch alle Ruhe bewahren sollen, eine neue Variante ins Spiel: "20 Mann mit Atombombe sind eine Armee" , meint er
Eine solche würden die Sperren vor dem Reichstag natürlich nicht aufhalten. Dort steht Günther aus Berlin und erklärt seinen Verwandten aus Dortmund, was man alles sehen könnte, dürfte man nur auf die berühmte Kuppel steigen. Aber die ist ja gesperrt. "Schon schade" , sagt die Dortmunder Cousine, findet aber auch: "Wenn wir wirklich bedroht sind, dann ist es besser. Wer weiß, vielleicht schmuggelt ja ein Besucher etwas in den Reichstag."
Günther hält das für Unsinn: "Man macht nur die Leute nervös, und die können sich ja doch nicht schützen." Seine Meinung zu einem möglichen Anschlag: "Eher überfährt mich ein Auto. Da ist die Wahrscheinlichkeit viel höher."
Apropos Auto: Ein Lieferwagen nähert sich dem Reichstag. Er wird kontrolliert und darf passieren. Keine Gefahr, der Wagen liefert Zubehör für den Weihnachtsbaum. Der wird gerade aufgestellt. Wie immer, trotz Terrorwarnung. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2010)